AG Bildung: Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate (Teil II)

Im vergangenen Beitrag haben wir das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate kennen gelernt. Es wurde gezeigt, dass mit zunehmender Entwicklung der Produktivkräfte die Profitrate sowohl in einem Unternehmen als auch tendenziell in einer kapitalistisch organisierten Gesellschaft abnimmt. Triebkraft dieser Entwicklung ist die Steigerung der Produktivität durch den Einsatz modernerer Technologien, aufwendigerer Produktions-verfahren, höherer Verarbeitungsgrad der Ausgangsstoffe, etc. Als ein Ergebnis der Produktivitätssteigerung steigt das konstante Kapital c. Der Einsatz des variablen Kapitals in Form der lebendigen Arbeit (v) sinkt dagegen (oder stagniert bestenfalls), da der Einsatz konstanten Kapitals die Arbeitskraft immer überflüssiger macht. Jeder Arbeiter setzt mehr an konstanten Kapital in Bewegung und die zur Reproduktion der Arbeitskraft notwendigen Waren werden schneller und (meistens) billiger produziert.
Bei der Berechnung der Profitrate ermittelten wir eine Abnahme der Profitrate, da der Anteil des angeeigneten Mehrwertes aus der lebendigen Arbeit an dem vorgeschossenen Kapital abnimmt. Anders verhält es sich bei der Berechnung der Mehrwertrate. Diese Kennziffer kann bei einem abnehmenden Mehrwert konstant bleiben oder sogar steigen, da die konstanten Kapitalanteile nicht an der Wertschöpfung beteiligt sind und nicht an der berücksichtigt werden. Die kapitalistische Produktion entwickelt hier eine dialektische Widersprüchlichkeit, denn die Steigerung der Mehrwertrate durch Produktivitätssteigerung einerseits steht den negativen Auswirkungen auf die Profitrate andrerseits gegenüber.

Ein Kapitalist wird sich fragen, warum er sich mit dem Fall der Profitrate beschäftigen soll, zumal sein Betrieb Profit abgeworfen hat und weiterhin profitabel arbeitet. Unser Kapitalist wird auch nicht in Panik geraten, wenn seine Profitrate von 40% auf 30% sinkt und er weiß, dass seine Konkurrenten in gleichem Maße von dem Fall der Profitrate betroffen sind. Eine andere Bedeutung bekommt ein Absinken der Profitrate allerdings dann, wenn wir uns die gesamtgesellschaftliche Dimension der Profitrate vor Augen führen. Vergegenwärtigen wir uns, dass der in die Berechnung der Profitrate eingehende Profit die Summe des gesellschaftlichen Gesamtprofits repräsentiert, führt ein Fall der Profitrate dazu, dass ein individueller Kapitalist für sein vorgeschossenes Kapital pro Kapitaleinheit anteilsmäßig weniger vom gesellschaftlichen Profit erhält als vorher. Und genau an dieser Entwicklung hat kein Kapitalist ein Interesse.
Nicht zuletzt aus den genannten Grund organisieren sich die Kapitalisten in kapitalistische Interessenverbände (DIHK, BDI, Arbeitgeberverbände) und entwickelt in und mit ihnen Strategien, um die Wirkung des Gesetzes abzumildern und zu verzögern. Auch wenn sich die in den Verbänden organisierten Kapitalisten als Konkurrenten auf dem Absatzmarkt bis auf`s Blut bekämpfen, so sind sie sich doch in dem Bestreben, gemeinsame Initiativen zur Sicherung ihrer Profite zu entwickeln, einig. Das die Sicherung und Maximierung ihrer Profite nur durch eine intensivere Ausbeutung der Arbeiter, dem Abbau von ehemals erkämpften Sozialleistungen, etc. heraus gepresst werden kann versteht sich von selbst. Damit sie ihre Interessen gegenüber dem Volk durchsetzen können, benötigen sie einen bürgerlichen Staatsapparat, der die entsprechenden Gesetze erlässt und mit Hilfe seines Herrschaftsapparates durchsetzt.   
Im vierzehnten Kapitel des dritten Kapitalbandes verweist Marx auf „entgegenwirkende Ursachen“. Hierunter versteht Marx Einflüsse, die in umgekehrter Weise zur gesetzmäßig notwendigen Tendenz der Profitrate wirken und die Wirkung des allgemeinen Gesetzes hemmen. Vergegenwärtigt wir uns diese entgegenwirkenden Ursachen, wird deutlich, warum der Fall der Profitrate nicht rascher erfolgt, als wir es vermuten oder auch indirekt (z. B. Absinken der Zinssätze in den vergangenen Jahrzehnten) beobachten können. Bei der Interpretation des Gesetzes müssen die entgegenwirkenden Faktoren also unbedingt mit berücksichtigt werden – alles andere wäre unmarxisitisch.

Im Einzelnen nennt Marx (Das Kapital, Bd. III, S. 242-250)
•    Erhöhung des Exploitatationsgrades (d.h. Ausbeutungsgrades) der Arbeit;
•    Herunterdrücken des Arbeitslohns unter seinen Wert;
•    Verwohlfeilung (d.h. Erhöhung des von der lebendigen Arbeit in Bewegung gesetzten konstanten Kapitals) der Elemente des konstanten Kapitals;
•    Die relative Arbeiter-Überbevölkerung ( = Massenarbeitslosigkeit);
•    Der auswärtige Handel;
•    Die Zunahme des Aktienkapitals.

Im Folgenden werden wir einige entgegenwirkende Einflüsse, mit denen uns die Kapitalisten in der jüngeren Vergangenheit und der Gegenwart konfrontieren, hinsichtlich ihrer Funktion, den tendenziellen Fall der Profitrate abzuschwächen, anreissen und kurz analysieren. Die entgegenwirkenden Einflüsse müssen selbstverständlich direkt und/oder indirekt auf die Variablen wirken, mit denen die Profitrate berechnet wird: also das variable Kapital (v) und das konstante Kapital (c). Über die Veränderbarkeit dieser beiden Größen wird die Mehrwertmasse ebenfalls direkt oder indirekt im Sinne der kapitalistischen Verwertung beeinflusst. An diese Eingangsgrößen wollen wir uns bei der Einteilung der entgegenwirkenden Einflüsse orientieren – auch wenn eine eindeutige Zuordnung der zu erörtenden Einflüsse zum Teil nur bedingt möglich ist.

Das variable Kapital (lebendige Arbeit):

Allgemein müssen wir uns vor Augen führen, dass – unter der Voraussetzung einer Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals – der Kapitalist das Verhältnis von Mehrwert zum variablen Kapital (also der Mehrwertrate) entsprechend ausweiten muss, um den Fall der Profitrate abzupuffern. Diese Bedingung ist zum Beispiel bereits gegeben, wenn die Masse des Mehrwertes und des Profits aufgrund der Wirkung der Produktivitätsteigerung ansteigt.   
Unabhängig von o.g. Bemerkung wird das variable Kapital (und folglich die Mehrwertrate) auf eine vielfältige Art und Weise im Sinne der kapitalistischen Ausbeutung beeinflusst:  
absolute Mehrwertproduktion: Verlängerung der Arbeitszeiten von 38,5 auf 40 Std.; Überstunden, auch wenn sie bezahlt werden (absolute Mehrarbeit nimmt proportional zum Verhältnis notwendige Arbeit/Mehrarbeit zu).
Lohnsenkungen, Absenken des Arbeitslohnes unter seinem Wert. Der technische Fortschritt führt zu einem Anstieg der industriellen Reservearmee. Gewerkschaften aber auch einzelne Lohnabhängige werden um den Erhalt ihres Arbeitsplatzes erpresst und zum Lohnverzicht resp. Lohnabsenkung genötigt (Stichwort: Rückgang des Reallohnes).  
Ausweitung und Intensivierung aller Instrumente, die einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen dienen. Beispielhaft sei die Zunahme der Leiharbeit, prekäre Be-schäftigungsverhältnisse, kurzzeitige Arbeitsverträge, Abbau des Kündigungsschutzes, Ausbau der sozialversicherungsfreien Arbeitsverhältnisse (400 €-Jobs), Forderung nach mehr Mobilität und Flexibilität, 1 €-Jobs, etc. genannt.   
Zerschlagung des ehemals „paritätisch“ finanzierten Gesundheitswesen. Was 2004 mit der Einführung der Praxisgebühr und der Zuzahlungspflicht für Medikamente begann, findet heute mit dem Einfrieren der Kapitalistenbeiträge und der Erhöhung der Beiträge der Lohnabhängigen zur Finanzierung der Krankenkassenbeiträge seine Fortsetzung. Durch diverse Reformen im Gesundheitswesen sichern sich die Kapitalisten durch die Absenkung der Lohnnebenkosten direkt und indirekt außerordentliche Profite. Viele Menschen wurden und werden durch die Bedingungen am Arbeitsplatz krank – nun können sie auch zunehmend die Behandlungskosten mit ihren Löhnen selbst tragen.  
Erhöhung der Arbeitsproduktivität durch massive Verdichtung der Arbeit.
Steuerliche Vorteile für die Kapitalisten (Reduzierung der Körperschaftssteuer und der Gewerbesteuer, Vermögenssteuer).
Übernahme von Lohnkosten für ½ Jahr durch den Staat bei Einstellung von schwer vermittelbaren Menschen.
Kritische Blicke in die Tageszeitungen oder 15 Minuten Tages“show“ reichen aus, um sich vorzustellen zu können, dass sich die obige Aufzählung beliebig lange fortsetzen liesse.

Das konstante Kapital:

Unter der Annahme eines konstanten Einsatzes von variablen Kapital und der Mehrwertmasse kann der Fall der Profitrate theoretisch durch eine Reduzierung des konstanten Kapitals vermindert werden. In einer kapitalistisch organisierten Ökonomie ist die systematische Anwendung dieser Strategie aber problematisch, da durch die Produktivitätsentwicklung eben gerade das konstante Kapital ansteigt. Die Kapitalvernichtung ist in besonderen Einzelfällen dennoch eine „Schraube, an dem der Kapitalist drehen kann“, um den Fall der Profitraten abzubremsen.   
Durch Kriegsführung werden gigantische materielle Werte in Form des konstanten Kapitals (Fabrikanlagen, Infrastruktur, etc.) vernichtet. Der notwendige Wiederaufbau der nach einem Krieg zerstörten Produktions- und Konsummittelindustrie garantiert dem Monopolkapital bei einem Überangebot von Arbeitskräften gewaltige Profite (vergl. Wiederaufbauphase nach dem II. Weltkrieg mit historisch einmalig hohen Profiten für das deutsche Monopolkapital). Die in den vergangenen zwei Jahrzehnten von den imperialistischen Ländern geführten Kriege u.a. in Jugoslawien, Irak und Afghanistan zerstörten die dortige Infrastruktur. Nach Kriegsende garantiert der mit Hilfe von gewährten Krediten finanzierte Wiederaufbau des zerstörten Landes den beteiligten Industrie- und Gewerbezweigen der imperialistischen Länder bei erfreulich billigen einheimischen Arbeitskräften horrende Profite.  
Durch Fusionen und Konzentrationsprozesse kann konstantes Kapital vernichtet werden, wenn lediglich ein Teil des übernommenen Kapitalvolumens (z.B. in Form der Produktionsanlagen) in die Produktion des übernehmenden Unternehmens integriert wird. Der verbleibende Anteil des konstanten Kapitals wird abgebaut und allenfalls unter Wert veräußert.
Ein mit Kriegen vergleichbarer Zusammenhang zwischen Ursache (Kapitalvernichtung) und Wirkung (Abbremsen des Falls der Profitrate) tritt bei Naturkatastrophen (Tsunamis, Erdbeben, etc.) ein. In den betroffenen Regionen werden ebenfalls große Anteile des konstanten Kapitals vernichtet.
Optimierung des Kapitaleinsatzes: Bei einer notwendigen Ausweitung der Produktion wird jeder Quadratmeter der Betriebsfläche genutzt, um diese in den Produktionsprozess zu integrieren. Für den Fall eines nicht optimal genutzten Maschinenparks werden z.B. bei Bedarf die Maschinenlaufzeiten erhöht und der Produktionsprozess von einem Zwei-Schicht- auf Drei-Schicht-Betrieb umgestellt. Ziel ist die Vermeidung einer Ausdehnung des konstanten Kapitals.
Durch den Einkauf geringwertiger Roh- und Hilfsstoffe wird der Einsatz von konstantem Kapital im Produktionsprozess reduziert. Die Zeche müssen die Konsumenten zahlen, denn die Qualität des Gebrauchswertes produzierter Waren kann deutlich gemindert werden. Hosen oder Schuhe, die vor 30 Jahren noch 5 Jahre gehalten haben, können heute nach 2 Jahren entsorgt werden.

Die gesellschaftliche Reproduktionsebene

Auf der gesellschaftlichen Reproduktionsebene ergeben sich für die Kapitalisten gleichfalls entgegenwirkende Einflüsse, die darauf abzielen, den tendenziellen Fall der Profitrate abzuschwächen. Insbesondere auf dieser Ebene nimmt der bürgerliche Staat für jeden Menschen auch direkt sichtbar für die Wahrung der Kapitalinteressen eine große Rolle ein, denn er muss zumindest die notwendigen politischen Rahmenbedingungen in entsprechende Gesetze giessen. Der Sinn und Zweck vieler Maßnahmen bleibt oftmals im Verborgenen.   & nbsp;
Die Erhöhung des Renteneintrittsalter für die arbeitende Klasse von 65 auf 67 Jahre wird von den Kapitalisten und den bürgerlichen Politikern mit dem demographischen Wandel in der Bevölkerung begründet. Tatsächlich werden mit der Erhöhung des Renteneintrittsalters die Rentenausgaben und damit die Sozialabgaben der Kapitalisten (ergo das variable Kapital) erheblich entlastet. Um im Rentenalter ein menschenwürdiges Leben führen zu können, empfehlen die bürgerlichen Politiker den lohnabhängig Beschäftigten den mit persönlichen Ausgaben verbundenen Abschluss privater Renten. Auch hiervon profitiert das Finanzkapital durch den erhofften Abschluss vieler Zusatzrentenverträge.  
Die gesetzliche Einführung des Euros 2002 wurde den Menschen u.a. mit der Vereinfachung des Reiseverkehrs schmackhaft und akzeptierbar gemacht. Abgesehen von den Profiten, die aus den Umstellungen der nationalen Währungen auf den Euro resultierten, gewährleistet der Euro den Kapitalisten einen ungehemmten und unkontrollierten Kapitalfluss (d.h. das konstante Kapital).
Ein besonders geschickter Schachzug des Kapitals und seines bürgerlichen Herrschaftsapparates war die Einführung der Abwrackprämie im Jahr 2009 als Instrument zur Krisenintervention. Eindrucksvoll wurden hier gesellschaftlich durch Steuern aufgebrachte finanzielle Mittel in die Taschen der Kapitalisten umverteilt. Die Autobauer wurden ihre Überproduktionen los und realisierten den in den Produkten steckenden Mehrwert. Gesellschaftliche Akzeptanz erhielt die Abwrackprämie dadurch, dass ein Abwracker ein vermeintlich „teilsubventioniertes“ neues Auto erhielt (wohl bemerkt aus seinem eigenen Steueraufkommen).
Nichtäquivalenter Warentausch zwischen den industrialisierten Ländern und den Ländern des Trikonts gewährleistet dem Kapitalisten in den Metropolen eine weitere Profitquelle. Im einfachsten Fall müssen Trikontstaaten aufgrund der Abhängigkeitsverhältnisse für importierte Produkte erheblich mehr an Mittel aufwenden, als sie für Exporte ihrer Rohstoffe oder Fertigprodukte erhalten. Diese ungleichen ökonomischen Beziehungen beziehen sich auf alle Formen des Warenaustausches, dem Anwerben von Fachkräfte (vergl. Green Card), dem Kapitalfluss, etc. In diesem Kontext steht auch die Ausbeutung der i.d.R. billigeren Arbeitskräfte im Trikont, die bei einer geringen organischen Zusammensetzung des Kapitals hohe Profitraten  garantieren.  
Durch den Verkauf von öffentlichen Einrichtungen (z.B. Krankenhäuser) und den Abschluss von u.a. „Joint ventures“- oder „Public Partner Partnership“-Verträgen zwischen öffentlichen Haushalten und kapitalistischen Unternehmen, werden den Kapitalisten neue Verwertungsmöglichkeiten in ihnen bisher nicht zugänglichen Bereichen eröffnet. Insbesondere Restrukturierungen in öffentlichen Einrichtungen versprechen den Kapitalisten in den ersten Jahren horrende Gewinne.
Weiterhin wird durch staatliche Subventionen, die Einführung von Schutzzöllen für Importe, der Abbau von Spekulationshemmnissen, die Deregulierung der Finanzmärkte, der Aufbau von „Bad Banks“ und sog. „Schutzschirmen“ für überschuldete Banken, etc. die Profitsituation der kapitalistischen Unternehmen in ihrem Sinne positiv beeinflusst.
Die Auflistung der „entgegenwirkenden Ursachen“ lässt sich beinahe beliebig lange fortsetzen,  denn viele der über die Massenmedien auf uns niederprassenden Informationen – abgesehen von der Jahreshauptversammlung des Taubenzüchtervereins – stehen direkt oder indirekt im Kontext mit dem tendenziellen Fall der Profitrate. Bei der „Suche nach den entgegenwirkenden Ursachen“ ist das Kapital sehr erfinderisch und sehr adaptionsfähig. Ständig entwickelt das Kapital neue Strategien, um sich selbst zu verwerten und Profit und noch mehr Profit ergaunern zu können. Das eigentliche Ziel dieser Strategien wird immer verschwiegen, hinter Sachzwängen versteckt und ist für die Bevölkerung oftmals nicht direkt ableitbar. Das Verschweigen der tatsächlichen Ziele der Umverteilung macht ja auch Sinn, denn kein bürgerlicher Politiker sagt seinen Wähler gerne, dass sie wegen des Profits ihres Kapitalisten länger arbeiten müssen. Die Menschheit ist daher immer und beständig der Offensive der Kapitalistenklasse ausgesetzt, und nicht insbesondere in den vergangenen zwanzig Jahre – wie manche sich links gebährende Politker uns glauben lassen wollen.   Auf die Funktion des Staates für die herrschende Klasse gehen wir in diesem Zusammenhang nicht ein und verweisen lediglich auf die einschlägige Literatur zum Thema Basis-Überbau (vergl. Marx, K. (1858): Vorwort zu „Zur Kritik der Politischen Ökonomie“, MEW 13, Seiten 7-11; Lenin, W.I. (1917): Staat und Revolution, Werke Band 25, Seiten 393 – 507).
Unternehmen wir nun den Versuch, dem bisher Gesagten abschließend zu bewerten. Eine genaue Betrachtung des Gesetzes ist auch dringend geboten, denn der tendenzielle Fall der Profitrate entfaltet letztendlich den zentralen Widerspruch der kapitalistischen Verwertung.
Die Entwicklung der Produktivkräfte, d.h. Wachstum des konstanten Kapitals bei gleichzeitiger relativer Abnahme der Nachfrage nach Arbeit führt zu zwei wichtigen Konsequenzen:
Die Freisetzung von Arbeitskräften untergräbt nicht nur Mehrwertproduktion, sondern erschwert auch zunehmend die Realisierung des in den Waren enthaltenden Mehrwertes. Auf der einen Seite haben wir die gesamte in einer Gesellschaft produzierten Warenmenge, die wertmäßig betrachtet, sowohl das konstante und variable Kapital als auch den in ihnen steckenden Mehrwert darstellt. Und dieser in den Waren verborgene Mehrwert steigt mit zunehmender Produktivität. Damit der Kapitalist den Mehrwert wieder realisieren kann, muß er die gesamte Warenmenge wieder verkaufen. Auf der anderen Seite haben wir die Masse der Bevölkerung, d.h. die Klasse der Lohnarbeiter, deren materielle Versorgung durch Arbeitslosigkeit, Lohndruck, etc. immer prekärer wird. Ihnen steht immer weniger Geld zur Verfügung, um die immer zahlreicher werdenden Waren nachzufragen und zu kaufen. Diese gegensätzlichen Tendenzen erschweren es dem Kapitalisten, seinen in den Waren steckenden Profit zu realisieren. Zwar wird der Arbeiter nach wie vor von den Kapitalisten ausgebeutet, aber Letztgenannter hat nichts davon, weil er das Ergebnis der Ausbeutung nicht vergegenständlichen kann. Die Nichtrealisierung seines abgepreßten Mehrwertes kann in letzter Konsequenz zu einem kompletten Verlust seines Kapitals führen. In der bürgerlichen Ökonomie wird dann von „Insolvenz“ gesprochen.  
Für den Kapitalisten ist der Fall der Profitrate spürbar, wenn er immer weniger Profit für sein vorgeschossenes Kapital erhält. Offensichtlich akkumulierte die bourgeoise Klasse soviel Mehrwert, daß es ihnen an profitablen Verwertungsmöglichkeiten eben für ihr akkumuliertes Kapital fehlt. Ein deutlicher und für jeden Menschen wahrnehmbarer Hinweis auf die Überproduktion von Kapital ist der seit Jahren anhaltende Fall der Zinsrate, den Sparer für ihr mühsam erspartes und zur Bank gebrachtes Geld erhalten. Ein hohes Angebot von Geld resp. Kapital auf dem Markt lässt den Zinssatz sinken, während eine hohe Nachfrage nach Geld resp. Kapital den Zinssatz analog steigen lässt.
Auf der Suche nach einer Verwertungsmöglicheit für das Kapital entwickelt sich ein „Casino-Kapitalismus“, bei dem nicht verwertbares Kapital spekulativ an den Aktien-, Devisen- oder Immobilienmärkten angelegt wird und die sogenannten „Spekulationsblasen“ nährt. Ein Ausdruck mangelnder Kapitalverwertung ist weiterhin das „Parken“ von Kapitalien durch den Kauf nutzloser millionenschwerer Gemälde und Schmuckgegenstände, das Verjubeln von Ressourcen während High-Society-Feste, etc., aus denen gleichzeitig die Perversion, Dekadenz und das Schmarotzertum der bourgeoisen Klasse hervorgeht.
Das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate führt uns vor Augen, dass die Handlungsspielräume der kapitalistischen Reproduktion mit zunehmender Produktivität immer stärker eingeengt werden und sie immer unproduktiver wird. Sie untergräbt ihre eigene Verwertung, denn es macht ihre eigenen Produzenten, d.h. die Arbeiterklasse zunehmend überflüssig. Und an diesem Prozess kann weder ein Kapitalist, kein Kapitalistenverband, kein bürgerlicher Politiker und keine bürgerliche Regierung etwas ändern, denn der tendenzielle Fall der Profitrate ist ein obligatorisches und ein systemimmanentes Gesetz im Kapitalismus. Zwar können sie – wie wir gesehen haben – an diesem Schräubchen (konstante Kapital) oder an jedem Schräubchen (variable Kapital) drehen und den Prozess partiell beeinflussen, den tendenziellen Fall der Profitrate können sie allerdings nicht aufhalten.
Die bereits ausführlich diskutierten, nicht kongruenten Verhältnisse in der kapitalistischen Produktion, d.h. der rasante Anstieg des konstanten Kapitals einerseits und das (zumindest relativ) absinkende variable Kapital andrerseits, sind es, die in ständigen Widerspruch zu den Produktiosmethoden stehen, die das Kapital einsetzen muss, um zu unbeschränkter Vermehrung zu kommen. Oder mit anderen Worten: Die bedingungslose Entwicklung der Produktivkräfte gerät in beständigen Widerspruch mit Verwertung des vorhandenen Kapitals. Die Produktionsverhältnisse sind dadurch zu einer Fessel in der Entwicklung der Produktivkräfte geworden. Karl Marx dazu:

Der Widerspruch, ganz allgemein ausgedrückt, besteht darin, daß die kapitalistische Produktionsweise eine Tendenz einschließt nach absoluter Entwicklung der Produktivkräfte, abgesehn vom Wert und dem ihn ihm eingeschloßnen Mehrwert, auch abgesehn von den gesellschaftlichen Verhältnissen, innerhalb deren die kapitalistische Produktion stattfindet; während sie andrerseits die Erhaltung des existierenden Kapitalwerts und seine Verwertung im höchsten Maß… zum Ziel hat. Ihr spezifischer Charakter ist auf den vorhandnen Kapitalwert als Mittel zur größtmöglichen Verwertung dieses Werts gerichtet. Die Methoden, wodurch sie dies erreicht, schließen ein: Abnahme der Profitrate, Entwertung des vorhandnen Kapitals und Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit auf Kosten der schon produzierten Produktivkräfte. (Marx, Das Kapital III, S. 259)

und

Die wahre Schranke der kapitalistischen Produktion ist das Kapital selbst…Die Schranken, in denen sich die Erhaltung und Verwertung des Kapitalswerts, die auf der Enteignung undVerarmung der großen Masse der Produzenten beruht, allein bewegen kann, diese Schranken treten daher beständig in Widerspruch mit den Produktionsmethoden, die das Kapital zu seinem Zweck anwenden muß und die auf unbeschränkte Vermehrung der Produktion, auf die Produktion als Selbstzweck, auf unbedingte Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte der Arbeit lossteuern. Das Mittel – unbedingte Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte – gerät in fortwährenden Konflikt mit dem beschränkten Zweck, der Verwertung des vorhandenen Kapitals. Wenn daher die kapitalistische Produktionsweise ein historisches Mittel ist, um die materielle Produktivkraft zu entwickeln und den ihr entsprechenden Weltmarkt zu schaffen, ist sie zugleich der beständige Widerspruch zwischen dieser ihrer historischen Aufgabe und den ihr entsprechenden gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen.” (Marx, K., Das Kapital III,  S. 260.)

Abschließend wollen wir noch auf einige Aspekte zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der Widersprüche in der kapitalistischen Produktion eingehen. Der Antagonismus bei den Produktionsverhältnissen und den Produktivkräften führt zu einer Verschärfung des Gegensatzes zwischen der Bourgeoisie und Proletariat, denn die weiter oben bereits besprochenen „entgegenwirkenden Ursachen“ werden materiell überwiegend durch die Klasse des Proletariats getragen.
Ein Fall der Profitrate impliziert – wie bereits gesagt – Überproduktions- und Absatzkrisen, denn aufgrund der hohen Produktivität werden die Konsumgüter u.a. in großen Stückzahlen produziert. Der Bevölkerung fehlt es allerdings für den Konsum der Waren an finanziellen Mitteln, denn die Arbeitslosigkeit verbunden mit Lohndruck und Sozialabbau schränkt die Kaufkraft der lohnabhängigen Klasse ein. Positionen und Forderungen vieler Gewerkschaften, der Partei „Die Linke“, der DKP, trotzkistischen Organisationen etc., die Kaufkraft der Bevölkerung durch deutliche Lohnsteigerungen, Steuerentlastungen, etc. zu stärken und dadurch die Nachfrage anzukurbeln, gehen allerdings an den Ursachen der Überproduktionskrisen vorbei. Diese vermeintlichen „Lösungs“-ansätze zur Regulierung von Krisen führen nur zu einer Verlagerung des Grundwiderspruchs in die Zukunft. Es muss die Aufgabe aller Kommunisten sein, diesen Strategien eine klare Absage zu erteilen und dem eine auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus beruhende Analyse und Lösung entgegenzusetzen. In diesem Zusammenhang wollen wir abschließend darauf hinweisen, dass wir uns im Rahmen der AG Bildung zukünftig mit revisionistischen und opportunistischen Positionen zu Krisenerscheinungen auseinandersetzen wollen.

Zur Vertiefung der Materie verweisen wir – wie gewohnt – auf die Primärliteratur: K. Marx, Das Kapital Bd. III, S. 221-270.  

 
AG Bildung

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