Die Klassenstruktur der kapitalistischen Gesellschaft

In der Leninschen Klassendefinition wird das Verhältnis zu den Produktionsmitteln als das entscheidende Merkmal zur Unterscheidung der gesellschaftlichen Klassen hervorgehoben. „Als Klassen bezeichnet man große Menschengruppen, die sich voneinander unterscheiden nach ihrem Platz in einem geschichtlich bestimmten System der gesellschaftlichen Produktion, nach ihrem … Verhältnis zu den Produktionsmitteln, nach ihrer Rolle in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit und folglich nach der Art der Erlangung und der Größe des Anteils am gesellschaftlichen Reichtum, über den sie verfügen. Klassen sind Gruppen von Menschen, von denen die eine sich die Arbeit einer andern aneignen kann infolge der Verschiedenheit ihres Platzes in einem bestimmten System der gesellschaftlichen Wirtschaft.“ [1]

 

Diese Definition hebt alle wesentlichen Merkmale der Klassen hervor. Sie deckt die entscheidenden ökonomischen Wurzeln der Klassenzugehörigkeit auf. Jedoch sind gesellschaftliche Klassen nicht ausschließlich ökonomische Erscheinungen. Die Klassen unterscheiden sich in erster Linie auf ökonomischen Gebiet voneinander. Da aber die Ökonomie alle Seiten des gesellschaftlichen Lebens bestimmt und durchdringt, unterscheiden sich die gesellschaftlichen Klassen auch in ihren politischen Interessen und Handlungen und ebenso in ihrer Ideologie sowie auf geistig-kulturellen Gebiet voneinander.

 

Die Klassenzugehörigkeit wird also nicht von solchen Unterschieden zwischen den Menschen wie Beruf, Einkommen oder Bildungsniveau bestimmt. So wichtig diese Merkmale auch sind, sie sind letztlich abgeleiteter, zweitrangiger Natur. Das wichtigste Merkmal zur Unterscheidung der gesellschaftlichen Klassen ist das Verhältnis zu den Produktionsmitteln, weil davon alle anderen Merkmale der Klassen und auch ihre Beziehungen zueinander bestimmt werden.

 

Nur wenn wir vom Verhältnis zu den Produktionsmitteln ausgehen, finden wir den Schlüssel sowohl zum Verständnis der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze und des Klassenkampfes in den Ausbeuterordnungen als auch für das Bündnis der werktätigen Klassen und Schichten im Prozess der Annäherung an die führende Arbeiterklasse.

 

Lenins Klassendefinition orientiert darauf, dass man bei der Analyse der Klassenbeziehungen einer Gesellschaft stets von dem konkreten, „geschichtlich bestimmenden System der gesellschaftlichen Produktion“ ausgehen muss. Das ist nicht nur im Hinblick auf die Untersuchung der Klassenbeziehungen in den heutigen weltweiten Ausbeuterordnungen wichtig. Von großer Bedeutung ist dieser Gesichtspunkt auch für das Verständnis der Tatsache, dass auch die künftige (sozialistische) sozial-ökonomisch-ökologische Emanzipationsgesellschaft als erste Phase der Phase der kommunistischen Gesellschaftsformation noch eine Klassengesellschaft ist. Die künftige (sozialistische) sozial-ökonomisch-ökologische Emanzipationsgesellschaft ist eine Klassengesellschaft neuen Typs, deren Charakter nicht mehr von dem feindlichen Gegensatz von Klassen bestimmt wird, in der es aber noch Unterschiede zwischen den existierenden Klassen und Schichten und ihren Interessen gibt, die in einem längeren Prozess der Zusammenarbeit unter der Führung der Arbeiterklasse abgebaut werden. Charakteristisch für die (sozialistische) sozial-ökonomisch-ökologische Emanzipationsgesellschaft ist das Bündnis zwischen der (differenzierten) Arbeiterklasse und den übrigen werktätigen Schichten, dessen politische Grundlage die Macht der Arbeiterklasse und dessen ökonomische Grundlage die Existenz und Entwicklung des sozialistischen Gemeineigentums an den gesellschaftlichen Produktionsmitteln ist.

 

Die allgemeine Klassenstruktur der kapitalistischen Gesellschaft

 

Analysiert man die kapitalistische Gesellschaft mit Hilfe der Leninschen Klassendefinition, so lässt sich folgende Klassenstruktur erkennen: Es gibt zwei Grundklassen, die Arbeiterklasse und die Bourgeoisie.

 

Die Arbeiterklassebesitzt keine Produktionsmittel und ist daher gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um leben zu können. Die Arbeiterklasse ist mit der modernen industriellen Großproduktion am engsten verbunden. Sie ist durch die harte Schule der Arbeit diszipliniert worden und infolge des Prozesses der Zentralisation des Kapitals (gut) politisch zu organisieren. Da sie keinerlei Produktionsmittel besitzt, aber den größten Teil des gesellschaftlichen Reichtums schafft und dennoch den geringsten Anteil daran hat, da sie nichts ist, wie Karl Marx sagte, aber alles sein müsste, ist sie die revolutionärste Klasse. Als Hauptproduktivkraft der Gesellschaft unterliegt sie selbst den Gesetzen der ununterbrochenen Entwicklung der Produktivkräfte. Ihre Klasseninteressen stimmen mit den Erfordernissen des gesellschaftlichen Fortschritts überein.

 

Die Bourgeoisie ist die Klasse der privaten Besitzer der gesellschaftlichen Produktionsmittel, die auf Grund dessen Lohnarbeiter beschäftigen und sich deren Arbeit aneignen. Die Bourgeoisie ist in den entwickelten kapitalistischen Ländern in sich stark differenziert. Die zahlenmäßig kleinste, aber ökonomisch und politisch mächtigste Gruppe bildet die Finanzoligarchie. Einen umfangreichen Teil bilden die übrigen Monopol- und Großunternehmen. Die nichtmonopolistischen und kleinen kapitalistischen Unternehmer sind die zahlenmäßige Mehrheit dieser Klasse. Die erstgenannten Gruppen haben ihren „Anhang“, die Manager und politischen Repräsentanten in Regierung und Parlament, die mit zur Klasse der Bourgeoisie zu zählen sind.

 

Neben den Grundklassen existieren:

 

Die Bauernschaftist in ihrem Klassenwesen nicht einheitlich. Abgesehen von kapitalistisch produzierenden Großgrundbesitzern, die es nicht in allen kapitalistischen Ländern gibt, unterscheiden wir kapitalistische Großbauernbetriebe, werktätige Bauern mit mittleren Grundbesitz und Kleinbauern. Die Großbauern bilden die Kapitalisten des Dorfes, die über moderne Maschinen verfügen und ständig Landarbeiter beschäftigen und ausbeuten. Mittel- und Kleinbauern zeichnen sich dadurch aus, dass sie Familienbetriebe sind, mit selbsterarbeiteten Produktionsmitteln wirtschaften und keine oder nur saisonbedingt fremde Arbeitskräfte beschäftigen.

 

Auf dem Lande gibt es auch das Landproletariat. Seine Angehörigen sind Lohnarbeiter, die ständig von den Großgrundbesitzern, Großbauern oder kapitalistischen Farmern ausgebeutet werden. Sie gehören zur Arbeiterklasse.

 

Mittelbauern, Kleinbauern und das Landproletariat bilden die Mehrzahl der Landbevölkerung.

 

Die Intelligenz ist ihrem Klassenwesen nach in sich auch nicht einheitlich. Wir unterscheiden den Teil der Intelligenz, der gezwungen ist, als „Lohnarbeiter“ seine geistige Arbeitskraft zu verkaufen, den Teil, der freiberuflich tätig ist, und jenen Teil, der auf dem Gebiet des Managements und der Ausarbeitung und Verbreitung der Ideologie der Ausbeuterklassen willfährig der Monopolbourgeoisie dient.

 

Über die sozialökonomische Lage des größten Teils der Intelligenz im Kapitalismus, besonders der technischen Intelligenz, schrieb Karl Marx:

 

„Es ist eben das Eigentümliche der kapitalistischen Produktionsweise, die verschiedenen Arbeiten, also auch die Kopf- und Handarbeiten … zu trennen und an verschiedene Personen zu verteilen, was jedoch nicht hindert, dass das materielle Produkt das gemeinsame Produkt dieser Personen ist oder ihr gemeinsames Produkt in materiellem Reichtum vergegenständlicht; was andrerseits ebensowenig hindert oder gar nichts daran ändert, dass das Verhältnis jeder einzelnen dieser Personen das des Lohnarbeiters zum Kapital … ist.“ [2]

 

Ihrer sozialen Herkunft nach ist die Intelligenz ebenfalls uneinheitlich. Sie rekrutiert sich vor allem aus dem Kleinbürgertum und der Bourgeoisie.

 

Außerdem existieren die sogenannten Mittelschichten. Historisch gesehen, handelt es sich um soziale Elemente, die aus der Klassenstruktur untergegangener Gesellschaftsformationen überkommen sind. Aber ihre Besonderheit besteht darin, dass sie sich auch in den entwickelten kapitalistischen Ländern trotz Konkurrenz und ständiger Ruinierung immer wieder reproduzieren. Die kapitalistische Großproduktion duldet diese besonderen Produzenten und nutzt sie als Zuliefer-„Industrie“ aus. Es handelt sich dabei um die sozialen Schichten der Handwerker und Vertreter des dienstleistenden Gewerbes. Ihre sozialökonomische Lage ist dadurch bestimmt, dass sie wesentlich mit selbsterarbeiteten Produktionsmitteln arbeiten und nur in geringem Umfang Lohnarbeiter beschäftigen.

 

Keine Wandlung des Kapitalismus

[– auch nicht in der sog. “Sozialen Marktwirtschaft“ der Bourgeoisie und Aktionäre etc.]

 

Die (differenzierte) Arbeiterklasse, die keine Produktionsmittel besitzt, ist zahlenmäßig die stärkste Klasse; sie bildet die Mehrheit der Bevölkerung. Sie ist der Schöpfer der riesigen Werte, die sich die Bourgeoisie aneignet. Die verschwindende Minderheit aber, die Monopolbourgeoisie und besonders die Finanzbourgeoisie, bestimmt darüber, was, wie und zu welchem Zweck produziert wird. Sie beherrscht das gesellschaftliche Leben in Deutschland und der Europäischen Union.

 

Es ist ein Gesetz der Bewegung des Kapitals, dass den Werktätigen im Kapitalismus von den Besitzern der Produktionsmittel nur so viel Lohn oder Gehalt zugebilligt wird, wie sie unter den jeweiligen Umständen zum Leben und zur Erneuerung ihrer Arbeitskraft brauchen, während die Kapitalisten, und heute vor allem die großen Monopole, ständig bestrebt sind, sich maximale Profite anzueignen. Die geschichtlichen Erfahrungen des Kampfes der internationalen Arbeiterbewegung lehren aber auch, dass die Höhe des Lohnes außerdem wesentlich von politisch-moralischen Faktoren abhängig ist. Allein der organisierte Kampf der Arbeiterklasse der kapitalistischen Länder um ihre Rechte können die herrschenden Ausbeuterklassen in den kapitalistischen Ländern davon abhalten, die Löhne der Arbeiter unter das Existenzminimum zu drücken.

 

[Ein modifizierter Auszug, vgl.]

 

Anmerkungen

 

1 W. I. Lenin: Die große Initiative. In: Werke, Bd. 29, S. 410.

 

2 Karl Marx: Theorien über den Mehrwert. In: Marx/Engels: Werke, Bd. 26.1, S. 387.

 

Quelle: Politisches Grundwissen. Dietz Verlag Berlin 1972.

 

22.05.2015, Reinhold Schramm (Bereitstellung)

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