Diskussion zu Sarah Wagenknecht, KPF, DIE LINKE

Im Newsletter vom 15.Mai 2010 druckten wir eine deutliche Kritik von Petra zum tagesschau-Videochat (noch immer zu sehen unter tagesschau-chatprotokoll-Wagenknecht  ) ab. Petra rief „alle ehrlichen Kommunisten der Kommunistischen Plattform der Partei “Die Linke” auf, sich endlich von der sozialdemokratischen Partei “Die Linke” zu trennen und sich damit von den Aussagen Sahra Wagenknechts in ihrem Tagesschau-Interview klar zu distanzieren und sich wirklichen Kommunisten anzuschließen […].“ Dem widersprach Georg vehement; die sich daraus entwickelnde Diskussion zwischen Petra und Georg zu Sarah W., der Kommunistischen Plattform, zur SED und jetzigen Partei DIE LINKE dokumentieren wir im Folgenden:

Georg:
Liebe Genossen, ich möchte mich entschieden gegen die Veröffentlichung des Briefes der Genossin Petra zum Interview mit Sarah Wagenknecht aussprechen. Das kann nicht unser Stil sein. Der Genossin Petra kann doch nicht entgangen sein, dass jede Frage der Interviewerin einen provokanten Hintergrund hatte und mit dem Ziel gestellt wurde, einen Aufhänger für einen massiven antikommunistischen Eklat zu schaffen. Genau diesen Gefallen hat die Interviewte nicht getan, sondern sie ‚unverbildlich’ ins Leere laufen lassen. Deshalb hat es einen guten Grund, warum die Junge Welt diesen Brief eben nicht veröffentlicht hatte. Auch ich hätte manche Vorbehalte gegen Aussagen von Sarah, besonders jene, die die DDR betreffen. Und ich hätte mir schon gewünscht, dass sie da klassenmäßigere Positionen bezogen hätte. Das sollten wir mit ihr direkt ausdiskutieren, aber nicht über den „öffentlichen“ Weg. […]

Mit roten Grüßen, Georg Dorn

Petra:
Lieber Genosse Georg Dorn, Du hast Dich entschieden gegen meine Meinung zu Sarah Wagenknecht und ihrem letzten Interview ausgesprochen. Mitunter ist es sehr schwer und bitter zu einer derartigen Einschätzung zu gelangen. Ich kann Deine Wut und Empörung nachvollziehen, denn ich gehe davon aus, daß Du Deine Hoffnung in Sarah Wagenknecht noch nicht begraben hast. Lange Zeit habe auch ich immer wieder Zugeständnisse gemacht, bis ich merkte, daß diese von meiner Hoffnung, meinem Wunschdenken, getragen waren.

Ich selbst hatte bis vor nicht allzu langer Zeit stets die Hoffnung gehegt, Sarah Wagenknecht würde sich ihrer Verantwortung an der Spitze der kommunistischen Plattform der sozialdemokratischen Partei “Die Linke” bewußt und ihrerseits Konsequenzen ziehen. Seit diese Partei, noch als PDS, jetzt als “Die Linke”, in diesem menschenverachtenden System angekommen ist, sich gemütlich in ihren Abgeordnetenstühlen zurücklehnt und nur noch einen sozialen Staat einrichten will, ohne sich von der Marktwirtschaft lösen zu wollen, spätestens seitdem hat in einer solchen Partei eine wirklich kommunistische Plattform nichts mehr verloren. Eine klare Trennung hätte meines Erachtens erfolgen müssen. Diese Trennung blieb aus. Stattdessen beobachtete ich immer mehr Zugeständnisse seitens Sarah Wagenknecht an ihre sozialdemokratische Parteiführung. Zugeständnisse, die in dieser Form für sie als sich selbst bezeichnende Kommunistin inakzeptabel hätten sein müssen.

Um für den Parteivorsitz als Stellvertreterin kandidieren zu können, mußte sie sich, so eine Forderung, von der kommunistischen Plattform lösen. Das tat sie. Schon das war m. E. einer Kommunistin unwürdig. In dem Interview stellte die Interviewerin konkrete Fragen, auf deren Beantwortung sie permanent zurecht bestand. Sarah Wagenknecht wich immer wieder aus, ging auf kaum eine Frage konkret ein, sie wollte wohl mit ihren Antworten nicht nur eine Tür, sondern gleich mehrere offenlassen. Das war das erste mir bekannte Interview, in dem Sarah Wagenknecht nicht einmal ansatzweise souverän auftrat.
Wenn sie zu einer klaren Postion in einem solchen Interview nicht willig oder fähig ist, darf sie ein solches Interview nicht annehmen. Sie verteidigte die Bemühungen der Partei “Die Linke”, diesen Staat in dieser Form lediglich sozialer gestalten ohne ihn abzuschaffen  zu wollen. Sie distanzierte sich klar von der DDR. Auf die Frage, was sie als Kommunistin ausmache, fand sie keine einzige schlüssige Antwort, stattdessen wich sie auch hier unaufhörlich aus. Ganz offensichtlich war sie im Zwiespalt zwischen einerseits einem gutdotierten Posten innerhalb der Partei “Die Linke”, auch hinsichtlich der Wahlen in NRW, wo sie selbst als Spitzenkandidatin nominiert war und ihrer angeblichen kommunistischen Position, die zu haben sie jahrelang öffentlich verbal bekundete, jetzt aber im Interesse dieser Partei nicht mehr haben darf. Damit hat sie ihre vermeintlich kommunistische Position gegen ein politisches Mandat in diesem Staat eingetauscht und damit alle Genossen der kommunistischen Plattform vor den Kopf gestoßen.
Das, lieber Genosse Georg, ist zurecht bitter, aber dennoch nicht von der Hand zu weisen.
Venceremos, Petra

Georg:
Lieber Martin, […] Weil ich gerade beim Thema bin: Die Genn. Petra hat sich inzwischen mit einer Mail bei mir gemeldet. Ich werde ihr darauf antworten. Aber auch hier geht es mir um dieselbe Sache: Ich war Mitglied der KPF seit ihrer Gründung. Ich habe schon vor mindestens 10 Jahren die Frage aufgeworfen, ob die KPF in der damals noch PDS wirklich etwas bewegen kann und ob sie sich nicht von der Partei trennen müsse. Da lebte der Genosse Prof. Michael Benjamin noch, damals die ideologische Seele der KPF. Michael überzeugte mich einigermaßen, aber die Frage blieb dennoch bis heute in meinem Kopf stecken und sie ist unter den seitdem weiter zugespitzten Bedingungen erneut akut geworden. Dann müssen wir uns aber mit der Sache auseinandersetzen, und sollen sie nicht an der Person Genn. Sarah Wagenknecht aufhängen.
Denn das schadet mehr, als es unserem Anliegen nutzt. Und dann müssen wir eben überlegen, wie wir dieses Problem politisch wirksam bewältigen können. Ich kenne sehr viele Genossen in der KPF, ehrliche kampfbereite Kommunisten, in der Mehrzahl mit ausgezeichnetem marxistisch-leninistischen Wissen und beachtlicher Kampferfahrung. Die müssen wir gewinnen und dürfen sie nicht durch Personalquerelen verprellen.
Es mag heute genug sein, ich könnte noch manche andere Beispiele nennen. Worum es mir in der Sache geht, habe ich – wie ich glaube – deutlich genug in meinem Diskussionsbeitrag für die Konferenz der KPD ausgedrückt. Ganz unter uns gesagt, ich habe sie mit meiner kritischen Sicht bewusst etwas provozieren wollen und deshalb sehr bewusst mehrmals auf die „fünf Finger“ und die „Faust“ verwiesen. Mal sehen, was an dieser Flanke zu machen ist.  

Ich verbleibe mit roten Grüßen. Georg

Petra:
Lieber Genosse Georg, gestatte mir noch eine Ergänzung zu folgendem:
Erinnerst Du Dich noch? Nach der Wahl in Hessen stellte sich die Genn. Christel Wegner unbedacht einem Fernsehinterview (obwohl ihr ihre eigenen Genossen dringend davon abgeraten hatten) und ging prompt in die ihr gestellte “Stasi”-Falle.

Christel Wegner hatte in ihrer Meinungsäußerung bezüglich Staatssicherheit vollkommen recht. Wenn diese bürgerliche Presse schreit, hat das nichts damit zu tun, daß Fehler gemacht wurden. Du schreibst von “Stasi-Falle”. Für mich gibt es diese nicht. Natürlich hatte die Staatssicherheit ihre Berechtigung. Selbstverständlich muß es in jedem künftigen Staat auch eine solche Staatssicherheit gegen das Eindringen feindlicher Kräfte geben, gleich wie sie heißen wird!
Christel Wegner wurde von ihren eigenen Genossen im Stich gelassen und der Presse zum Fraß vorgeworfen. Niemand muß sich wegen unserer Staatssicherheitsdienste schämen. Sie haben viele Jahre hervorragende Arbeit geleistet!
“Frage nicht viel, was die Feinde sagen – und wenn sie Dich loben, dann schäme Dich!” Im Umkehrschluß: wenn sie derart vor Wut schäumen, haben sie schon halb verloren!

Venceremos, Petra

Georg:
Liebe Genossin Petra, um es erst mal vorweg zu sagen: Ich habe nicht aus Wut oder Empörung geschrieben, sondern eigentlich aus Sorge um die Verwirklichung unseres Anliegens in der KI. Ich will versuchen, es zu erklären:
Ich habe im Frühjahr 1946 – soeben aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft entlassen – den schwierigen Prozess der Auseinandersetzung um die Vereinigung von SPD und KPD zur SED in meiner Heimatstadt Dresden erlebt. Ich habe manche Funktion in der Partei ausgeübt und es war wohl eine der schwersten Entscheidung, nach 55 Jahren aus der inzwischen PDS gewordenen Partei auszutreten. Ich war und bin  noch Mitglied der Kommunistischen Plattform (in der inzwischen Linkspartei, ohne Parteimitgliedschaft) seit ihrer Gründung. Jetzt bin ich Mitglied der DKP. Ich habe also recht viel an politischer Auseinandersetzung in der Partei erlebt und manche Funktion ausgeübt. Ich habe bereits vor mindestens 10 Jahren die Frage nach dem Platz der KPF in der Partei gestellt. Es gab darum viel Diskussion. Damals lebte noch der Genosse Prof. Michael Benjamin, gewissermaßen die ideologische Seele der KPF. Er hat damals recht überzeugend die Position des notwendigen Verbleibens in der damaligen PDS vertreten. Sein Hauptargument: Wo landet die Partei, wenn wir sie verlassen? Man hat mir später recht übel genommen, dass ich aus der PDS austrat und mir die Frage gestellt, was ich denn von außerhalb der Partei bewegen wolle. Kurz und gut: Ich stimmte damals dem Verbleib der KPF in der Partei zu, wobei allerdings das Problem nie ganz aus meinem Kopf verschwand. Heute sind die Bedingungen in dieser Linkspartei ganz anders und stellt sich die Frage nach dem Platz der KPF auch anders. Alles, was ich von ihr höre oder lese, deutet darauf hin, dass sie in der Auseinandersetzung um ein neues Programm der Linkspartei hart um die Durchsetzung marxistisch-leninistischer Positionen kämpft. Und ich weiß von vielen Genossen, die aus meiner ehemaligen Basis stammen, dass die Standpunkte der KPF sehr viele Befürworter in der Basis haben. Ihre Rolle als „Feigenblatt“ zu definieren ist mir zu oberflächlich; ob Verbleib oder Ausscheiden der KPF in bzw. aus der Linkspartei ist unbestreitbar eine äußerst widerspruchsvolle Frage, die nicht einfach mit Ja oder Nein beantwortet werden kann. Ihre Entscheidung, die mir und uns allen von außen nicht zusteht(en), erst einmal zu akzeptieren (auch wenn ich (wir) anderer Meinung bin(sind)), sollte zumindest legitim sein.

Hier beginnt nun auch mein Problem: Man kann diese sehr schwierige Frage unter den komplizierten Bedingungen nicht an einer Person festmachen. Das mag uns gefallen oder nicht, Sahra Wagenknecht ist heute die präsenteste Sprecherin der KPF, selbst nach ihrem Ausscheiden aus dem Sprecherrat der KPF, die sie nicht allein, sondern gemeinsam mit dem gesamten Sprecherrat getroffen hat, offensichtlich aus taktischen Gründen (vor dem Wahlparteitag). Auch darüber gibt es selbst in der KPF sehr unterschiedliche Auffassungen. Du richtest nun einen „Aufruf…an alle ehrliche Kommunisten der KPF“. Damit unterstellst Du verbal und völlig unbewiesen, dass es in der KPF ehrliche und unehrliche Kommunisten gibt. Später verwendest Du den Begriff „wirkliche Kommunisten“. Ja, wer sind denn nun die „ehrlichen“ und die „wirklichen“ Kommunisten? Wer soll das entscheiden und nach welchen Kriterien? Nur vordergründige Schelte, kein einziges beweiskräftiges und stichhaltiges Sachargument. Später schwingst Du Dich zu der „Forderung“ auf, sie solle „sich nie wieder als Kommunistin bezeichnen“. Wer soll denn eine solche „Forderung“ wie durchsetzen? Du? Die KI? Die „ehrlichen Kommunisten“ der KPF? Aus gutem Grund hat die Junge Welt Deinen Aufruf nicht abgedruckt. Die würde damit ja ihren guten Ruf als eine der besten Tageszeitungen des Landes aufs Spiel setzen. Ich halte es deshalb auch für falsch, dass Dein subjektiver „Aufruf“ in den Newsletter der KI aufgenommen wurde, denn damit wurde er zu einem „Aufruf“ der KI als sich organisierende Bewegung, die die Kommunisten der verschiedensten Richtungen auf marxistisch-leninistischer Grundlage sammeln und zu einer Partei einigen will. Ich behaupte, dass man so unser Ziel nicht erreichen kann, sondern genau das Gegenteil bewirkt.

Damit es nun kein Missverständnis gibt: Ich habe auch meine Probleme mit dem Interview, bzw. mit der Herumeierei in diesem Interview. Ich habe es mir deshalb sehr aufmerksam und bewusst noch einmal angeschaut bzw. angehört. Es stimmt, es ist das Oberflächlichste, was ich von Sahra je gehört habe. Ich gebe Dir aber trotzdem einen guten Rat: Erinnerst Du Dich noch? Nach der Wahl in Hessen stellte sich die Genn. Christel Wegner unbedacht einem Fernsehinterview (obwohl ihr ihre eigenen Genossen dringend davon abgeraten hatten) und ging prompt in die ihr gestellte „Stasi“-Falle. Das war für die Medienmeute das gefundene Fressen und es bedurfte sehr viel Kraft, das öffentlich wieder auszubügeln. Und nun nimm Dir mal die Einzelfragen des Interviews mit Sahra vor, analysiere mal diese Fragen, spüre ihnen mal hinterher, was diese Fragen bezwecken sollten? Vielleicht bekommst Du ein Gefühl dafür, warum Sahra da so vorsichtig herumeiern musste, was ihr nicht immer gut gelang. Aber wir alle können hinterher weise Sprüche über ihre Antworten loslassen. Wir standen ja nicht in dieser Situation. Hinterher sind alle klüger.

Liebe Genossin Petra, ich hoffe jetzt sehr, dass Du meine Bemerkungen nicht als meine Schelte an Dich verstehst. Wir müssen voneinander lernen. Für den Rest meines Lebens gibt es nur noch ein politisches Ziel,  e i n e   e i n h e i t l i c h e   Kommunistische Partei mit einem marxistisch-leninistischen Programm, willens und fähig, die Arbeiterklasse und die werktätigen Massen im revolutionären Kampf gegen dieses verfluchte kapitalistische System zu führen. Nur deshalb und nur dazu arbeite ich in der KI mit. Und deshalb tut mir jeder Fehler weh, den wir machen.

Ich verbleibe mit roten Grüßen, Dein Genosse Georg Dorn

Petra:
Lieber Genosse Georg, hab vielen Dank für Deine Antwort, die keineswegs als “Schelte” gedeutet werden kann, sie ist sachlich und mit guten Argumenten ausgestattet – sie zeigt, daß auch Du um eine Meinung ringst, so wie ich. Ein offener Meinungsaustausch kann uns allen doch nur von Nutzen sein. Wir befinden uns in einer äußerst schwierigen gesellschaftlichen Situation, niemand hat ein passendes Rezept zur Hand. Das müssen wir uns gemeinsam – und nur gemeinsam erarbeiten, indem wir uns unsere Argumente mitteilen mit dem Ziel, zu einem gemeinsamen Ergebnis zu gelangen. Daß wir beide uns auf demselben marxistisch-leninistischen Klassenstandpunkt befinden, erleichtert uns das gegenseitige Verständnis. Du verfügst über weit mehr politische Erfahrung als ich. Denn ich wurde erst 1953 geboren, habe die Zeit des 2. Weltkrieges und den Zusammenschluß von KPD und SPD danach nicht miterlebt, kenne diese aus Veröffentlichungen und Berichten. Die Zeit nach dem 2. Weltkrieg kann man nicht mit der heutigen Zeit vergleichen. Die Situationen sind grundverschieden. 1945 entstand nach dem verheerenden Weltkireg der gemeinsame Wille, einen friedliebenden sozialistischen Staat zu schaffen, damit nie wieder von deutschem Boden ein Krieg ausgehen könne, das schmiedete zusammen.
Die PDS und jetzt “Die Linke” haben nicht die Traditionen der SED bewahrt, führen sie nicht fort. Die PDS vollzog eine klare Trennung von der Politik der SED, eine klare Trennung von der DDR. Sie selbst beteiligt sich daran, die DDR als “Unrechtsstaat” zu charakterisieren. Sie ließ es zu, daß führende Genossen der DDR/SED vor Gericht standen, sie beteiligt sich an der Hetzjagd gegen ehemalige Sicherheitskräfte eines souveränen Staates, der DDR. Sie beteiligt sich daran, daß diesen Sicherheitskräften die Rente gekürzt, daß ehemalige Funktionäre an den öffentlichen Pranger gestellt, sie ihrer Existenzgrundlage beraubt werden, Menschen, die so großartiges wie die DDR aufgenaut und erhalten haben! Ein Roland Claus entschuldigt sich bei einem Bush, weil es Genossen der Kommunistischen Plattform gewagt hatten, gegen dessen Krieg zu protestieren. Wenn das ein Roland Claus im Bundestag tut, dann tut er das als gewählter Vertreter der PDS. Wurde er jemals dafür zur Verantwortung gezogen? Wurde er aus der Partei ausgeschlossen? Dieser Partei “Die Linke” stand zuletzt ein eingefleischter Sozialdemokrat, Oskar Lafontaine, vor, der ihr noch den letzten Schliff in die sozialdemokratische, nicht sozialistische Richtung gab. Die offizielle Zielsetzung der PDS ist nicht die Überwindung der Marktwirtschaft, sondern nur deren soziale Gestaltung. Niemand kann die Gesetze der Marktwirtschaft aushebeln, niemand kann diese zum sozial Guten drehen. Diese Gesetze wirken unerbittlich, genau das erleben wir gerade – diese Krise steht erst in ihren Anfängen – niemand wird in der Lage sein, sie aufzuhalten. Erst kürzlich las ich, wie Petra Pau die Klassiker zu ihren Zwecken mißbrauchte, deren Aussagen gezielt falsch interpretierte. Geschah das nur aus Dummheit? Petra Pau ist nicht dumm – sie ist eine Vertreterin der liberalen Strömung der PDS. Wo bleibt die Kritik der Kommunisten in dieser Partei? Lieber Genosse Georg, bitte hilf mir zu vertehen, was die PDS eigentlich für eine Partei ist. Sie stellt sich als ein Sammelsurium aller möglichen politischen Strömungen von links bis weit in die Mitte dar mit dem Grund-Tenor, dieses menschenverachtende System, die Marktwirtschaft anzuerkennen. Seit 1991 rückte die PDS immer mehr in die Mitte, paßt sie sich immer mehr an, um soziale Kräfte in sich zu vereinen. Sie rückt immer mehr von ihren einstigen Zielstellungen ab. Immer wieder ist es die kommunistische Plattform, die ihre Ideale aufgeben mußte und muß. Sie zeigt meines Erachtens damit eine grundfalsche Parteidisziplin, die nicht darin münden darf, daß sie ihre kommunistischen Ziele aufgibt und damit verrät. Sobald sie das nämlich tut, ist sie inhaltlich nicht mehr “kommunistisch”, was uns gerade Sarah Wagenknecht deutlich demonstriert. Das habe ich so bei Marx, Engels und Lenin gelernt. Sie haben mich auch gelehrt, meine Stimme zu erheben, denn wer schweigt, unterstützt damit den politischen Gegner. Schauen wir uns doch Berlin und Brandenburg an, wo die PSD und jetzt “Die Linke” mitregieren. Sie haben sich klar in ihren Entscheidungen den Gesetzen der Marktwirtschaft unterworfen, unterwerfen müssen, haben höchst unsoziale Entscheidungen getroffen, haben Privatisierung von Wohneigentum federführend vorgenommen, und das Land hoch verschuldet; sie haben sich ihre Entscheidungen, wie alle anderen Regierungen auch, vom Kapital und den Finanzhaien diktieren lassen. Sie haben sich überhaupt nicht als eine sozialistische Partei eingebracht. – Das beweist doch: man kann die Gesetze der Marktwirtschaft nicht in deren Gegenteil wandeln. Die Marktwirtschaft selbt muß überwunden werden. Das läßt sich, dafür gib es genügend Beispiele, nicht über Reformen erreichen. Nunmehr 20 Jahre hat die kommunistische Plattform mit falschen Kompromissen und falsch verstandener Parteidisziplin die sozialdemokratische Politik der PDS, jetzt “Die Linke”, unterstützt. Es sind Revisionisten, die da rufen: “Zerstört uns diese Einheit nicht!”, denn sie wissen um die empfindliche Schwächung dieser Partei, sobald sich die kommunistische Plattform von ihr löste. Wäre die zahlenmäßige Stärke der kommunistischen Plattform für diese Partei zumindest in den ehemaligen Gebieten der DDR nicht so vonnöten, hätte sich diese Partei ihres gräßlichen Schönheitsfehlers schon längst entledigt. Dessen bin ich mir sehr sicher. – Unverzeihlich, wenn man bedenkt, was eine vereinte Kommunistische Partei/Initiative in diesen 20 Jahren hätte leisten können! 20 Jahre wervolle Zeit wurde vertan. Nicht an Worten, an deren Übereinstimmung mit Taten werden die Leistungen gemessen. Soziale Reden schwingen hierzulande alle Politiker ohne sozial zu wirken. Selbst die Rechten bezeichnen sich als national und “sozialistisch” und wollen verbal soziale Gerechtigkeit. Niemand von denen will jedoch auch nur ansatzweise den Sozialsimus aufbauen! Die Verantwortung von Kommunisten besteht nicht darin, sozialdemokratische Politik zu mitzutragen. Sie müssen sich ihrer historischen Mission besinnen. Diese, lieber Georg, kennen nicht nur wir beide!

VENCEREMOS ! Liebe Grüsse, Petra

Georg:
Liebe Genossin Petra, im Kern geht es Dir nur um eine Frage, die allerdings viele Aspekte hat, um die Stellung und Rolle der Linkspartei im allgemeinen und in ihr der Kommunistischen Plattform im besonderen. Das ist natürlich ein sehr weites Feld, das historische Hintergründe und aktuelle Bezüge hat und Fragen nach ihrer Perspektive stellt. Ich vermute sogar, dass Du noch Mitglied dieser Partei, aber zutiefst enttäuscht von ihr bist. Ich kenne dieses Gefühl, denn ich habe es hinter mir. Ich kann Dir nur meine Antworten geben, die sicher nicht in allen Varianten mit Deinen übereinstimmen werden. Auch das ist normal. Stell Dir mal vor, wie langweilig es in der Welt zuginge, in der alle das Gleiche denken und deshalb auch alle das Gleiche tun. Insofern ist es normal, dass selbst unter „Gleichgesinnten“ Meinungsverschiedenheiten und damit unterschiedliche Handlungsmotive entstehen. Das wollte ich vorweg schicken.

Ich war noch nicht mal zwanzig Jahre alt – soeben aus sowjetischer Gefangenschaft entlassen – als ich in meiner Heimatstadt Dresden erlebte, wie sich die alten Sozialdemokraten und Kommunisten zusammenrauften. Das kannst Du ganz wörtlich nehmen, denn die kannten sich ja noch aus ihren Auseinandersetzungen in der Weimarer Zeit, viele von ihnen körperlich gebrochen durch faschistische Zuchthäuser und Konzentrationslager, aber beseelt von der Überzeugung: Nie wieder gegeneinander, sondern nur noch miteinander. Und um dieses Miteinander gab es harte aber sehr offene Dispute. Ich will mal die üble Rolle der Schumachergruppe (die aus den westlichen Besatzungszonen hetzte) ausklammern, diesen Einigungsprozess aber stark belastete. Die Vereinigung zur SED war der demokratischste Prozess, den es in dieser Offenheit und Direktheit nie zuvor in unserer Geschichte gab. Mir kann deshalb auch niemand diesen Unsinn von „Zwangsvereinigung“ erzählen. Die Massenwirkung war frappierend: Die Massen hatte offenbar genau darauf gewartet. In wenigen Monaten verdoppelte, verdreifachte sich die Mitgliederzahl der SED.

Nun kann ich die Geschichte dieser Partei nicht darstellen. Da könnte man Bände drüber schreiben. Nur soviel: Diese Partei stand unter schwierigsten Bedingungen (Trümmer, Nachkriegschaos, nationale Spaltung u.v.a.) vor folgenschweren strategischen Entscheidungen: zurück in die bürgerlich-parlamentarische Demokratie und deren eventuell progressive Reformierung (die ja letztlich eine Illusion ist) oder vorwärts in das historische Neuland einer sozialistischen Umwälzung? Welchen Weg sie ging, ist jedem bekannt, welche Einzelschritte und Etappen sie dabei leitend initiierte, ebenso. Das kann ich mir alles sparen. Aber jeder Schritt  v o r w ä r t s  war ein Schritt in eine Gesellschaft, die es noch nie gab (wenn man von der Existenz der SU absieht). Wen wundert es da, dass nicht jeder dieser Schritte mit vollem Erfolg gekrönt war? Natürlich entstanden da auch Fehler und Irrtümer. Auch darüber könnte man ein ganzes Buch schreiben. Am meisten regen sich die darüber auf, die das Wenigste dazu geleistet haben. Wann gelang es je, in wenigen Jahren eine ganz neue Gesellschaftsordnung aufzubauen? Der Kapitalismus benötigte bis heute dazu rund 5 Jahrhunderte. Zwischen dem Großen Deutschen Bauerkrieg und der tatsächlichen Befreiung der Bauern in der DDR in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts liegen knapp 4 Jahrhunderte. Da bildeten wir uns ein, schon bei einer entwickelten sozialistischen Gesellschaft angekommen zu sein und hatten gerade vier Jahrzehnte hinter uns gebracht, und das bei erbitterter Konfrontation im Kalten Krieg mit unserem schlimmsten Klassenfeind. Da hatte uns offensichtlich der Blick auf die Realitäten verlassen, was wiederum mit der Entwicklung der Partei zusammenhing.

Ich will mir nicht anmaßen, ein gültiges Werturteil über die Entwicklung dieser Partei zu fällen, habe aber dennoch eine persönliche Meinung. Aus meiner Sicht hemmten vor allem drei Momente die Führungskraft der Partei:
In dem Maße, in dem sie sich formell zur Massenpartei entwickelte, verlor sie das Vertrauen der Massen. Was ist eine „Massenpartei“? Eine politische Organisation, die immer vollkommener versteht, die Massen im politischen  Kampf zu führen oder eine Partei mit einer Masse von Mitgliedern? In den ersten zwei bis drei Jahrzehnten war die SED zweifellos eine Massenpartei im ersteren Sinne (wenn auch mit zeitweiligen Einschränkungen). Später wurde sie zunehmend eine Partei im letzteren Sinne. Tausende Karrieristen haben wir herangezüchtet. Das spürten wir spätestens, als die Konterrevolution uns besiegte und wir uns oft wunderten, wo wir plötzlich diesen oder jenen „Genossen“ wiederfanden (und manchen heute auch in der Linkspartei immer noch agieren sehen).
Das wissenschaftlich begründete Führungsprinzip einer marxistisch-leninistischen Kommunistischen Partei ist der demokratische Zentralismus. Was alles dazu gehört, lasse ich jetzt weg. Dieses Prinzip verlangt aber ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Demokratismus und Zentralismus. Jede Verletzung, nach welcher Seite auch immer, hindert die Partei, selbst die notwendigen Führungsqualitäten zu entwickeln und sich zu befähigen, die Massen zu führen. Hier hat es in der DDR, besonders im letzten Jahrzehnt, sehr weitgehende Verletzungen gegeben. Der Demokratismus wurde immer stärker abgebaut, bzw. bestand nur noch als eine Fassade, während der Zentralismus immer weiter aufgeblasen wurde. Das ging soweit, dass die Partei zunehmend Aufgaben an sich riss, die ihr eigentlich nicht zustanden, sondern Staatsaufgaben waren. Und wo die Realitäten scheinbar der Theorie widersprach, musste eben pragmatisches und voluntaristisches Denken und Handeln weiterhelfen. Aus meiner persönlichen Sicht war diese Verletzung des demokratischen Zentralismus unser schlimmster Fehler. Er kostete uns das Vertrauen der Massen.

Es erwies sich als falsch, das sowjetische Modell des Aufbaus einer sozialistischen Gesellschaft formal auf alle anderen volksdemokratischen Staaten und damit auch auf die DDR zu übertragen. Wesentliche Unterschiede in der Geschichte dieser Länder, im ökonomischen Entwicklungsstand und der damit verbundenen Sozialstruktur, der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung u.a. hätten durchaus unterschiedliche Wege zum Sozialismus möglich und notwendig gemacht. In der DDR hatte man das Ende der 60er Jahre erkannt. Über hundert Gesellschaftswissenschaftler in einer Redaktion unter Leitung von Walter Ulbricht arbeiteten über ein Jahr an einer kritischen Bestandsaufnahme mit Schlussfolgerungen für die Weiterentwicklung des Sozialismus in der DDR und verfassten ein Grundwerk unter dem Arbeitstitel „Das ökonomische System des Sozialismus in der DDR“, das im Dietz-Verlag in Massenauflage gedruckt, nie ausgeliefert werden durfte. Das Politbüro des ZK der KPdSU hatte entschiedenen Protest gegen dieses Werk eingelegt. Ich weiß das deshalb sehr genau, weil ich damals als wissenschaftlicher Dokumentarist am Institut für Gesellschaftswíssenschaften Zeuge dieses Vorgangs war. Das war letztlich auch der Grund, warum W. Ulbricht nachdrücklich veranlasst wurde, seinen Rücktritt aus Altersgründen zu erklären. Damit es nun kein Missverständnis gibt: Diese Bemerkungen schränken in keiner Weise die Bedeutung der UdSSR und ihrer leninistischen Partei ein. Sie vermitteln lediglich Erfahrungen, die wir damals noch nicht hatten, für die Zukunft aber berücksichtigen müssen.

Liebe Genossin Petra, Du wirst Dich vielleicht wundern, warum ich soweit ausgeholt habe und eigentlich erst jetzt beginne, auf Deine Bemerkungen einzugehen. Mir scheint das notwendig, weil sich erst aus dem Wissen um unsere Geschichte das notwendige Verständnis für ihre Folgen und der daraus erwachsenden Reaktionen ergibt. Damit aber das Folgende richtig eingeordnet wird, sei ausdrücklich festgestellt: Für mich war und ist die DDR und ihre Geschichte, geführt von einer im wesentlichen marxistisch-leninistischen Partei, das fortgeschrittenste und bedeutendste Ergebnis in der Geschichte der deutsche Arbeiterbewegung. Mit ihr kehrte der Marxismus-Leninismus nach Deutschland zurück und bewirkte Ergebnisse in der gesellschaftlichen Entwicklung, die von bleibendem Wert für gegenwärtige und zukünftig neu heranreifende gesellschaftliche Prozesse bleiben. Die DDR vollendete im wesentlichen, was die Novemberrevolution von 1918 und die nachfolgenden Klassenkämpfe (Hamburger Aufstand, Zerschlagung des Kapp-Putsch, Rote Ruhrarmee u.v.a.)nicht erreichten.
„Trotz alledem“ (Karl Liebknecht): Der Sieg der Konterrevolution 1989/90 und die Zerstörung der DDR war der politische Sturz in einen tiefen Abgrund. Einen solchen Sturz überleben nur die wenigsten, die meisten brechen sich das Genick. Aber wer einen solchen Absturz überlebt, spürt, wenn er erst mal aus seiner Ohnmacht erwacht, dass er  Schäden an den verschiedensten Gliedern davon getragen hat. Das Schlimmste, was er nun bewältigen muss, mit seinen angeschlagenen Knochen aus diesem Abgrund wieder heraus zu klimmen und sich dazu Wege für den Aufstieg zu suchen und zu finden. Vielleicht hat er das Glück, dass da oben am Kraterrand Helfer warten, die ihm Seile zuwerfen, an denen er sich festmachen und emporziehen lassen kann. Bleiben wir ein wenig bei diesem Bild und wenden es auf die Partei an.

Glücklicherweise, das Genick hatte sie sich nicht gebrochen, aber angeschlagen war sie sehr, die Partei, von der man sang, dass sie „immer recht“ habe. Oben, am Kraterrand tummelte sich das Volk, war schrecklich aufgeregt, da nun führerlos. Aber da am Kraterrand fanden sich auch eigenartige Gestalten: Nein, ein Seil warf der Herr Gorbatschow der abgestürzten Partei nicht zu. Im Gegenteil verhandelte er mit anderen finsteren Gestalten darüber , wie die die Partei und das ganze Volk aus dem Dreck ziehen sollten. Und da stand auch ein Herr Kohl und seine Spießgesellen. Der rief dem Volk zu, dass es sich so schnell wie möglich von diesem Abgrund weg bewegen müsste, um nicht auch abzustürzen. Er würde ihm den Weg in „blühende Landschaften“ zeigen. Und damit das Volk es ihm auch glaubte, schmiss er ihm viel Bananen und eine Menge „Begrüßungsgeld“ hin. Aber auf die abgestürzte Partei ließ er noch mächtige Felsbrocken schleudern (Stasi, Verbrecher, Unrechtsstaat u.v.a.), damit die bloß nicht noch einmal an die Oberfläche geraten könnte.

Und die Partei?? Die warf erst mal vermeintlichen Ballast ab. Der vormalige Generalsekretär konnte gerade mal noch mit Mühe und Not in einem Pfarrhaus Unterschlupf finden und wurde später auf ominösen Wegen in ein fernes Land verbracht, wo er inzwischen verstarb. Andere Spitzenfunktionäre wurden einfach aus der Partei ausgeschlossen und im übrigen der Siegerjustiz überlassen.  Deshalb saß die Partei aber immer noch im Abgrund. Da beratschlagten die vermeintlich neuen klugen Köpfe und kamen zu dem Ergebnis, dass man nicht nur auf einem Weg – gleich gar nicht auf dem bisherigen Weg – sondern auf vielen Wegen an die Oberfläche gelangen müsse und nannten das „Pluralismus“, Und so krabbeln sie nun, in verschiedene Gruppierungen geteilt, mühselig nach oben, das seit 20 Jahren, haben aber noch längst nicht den Kraterrand erklommen. Und so sitzen sie nun gemeinsam auf einem größeren Felsvorsprung auf halber Höhe und hoffen darauf, dass das inzwischen sehr enttäuschte Volk ein Seil zuwirft, dass sie in die „Regierungsbeteiligung“ empor zieht. Ein paar einzelne Gestalten haben das ja schon erreicht und erste Erfahrungen gesammelt, in Berlin und in Brandenburg. Bloß das Volk traut der Sache nicht so recht, obwohl es doch so sehr „verkohlt“ wurde und eine wirklich starke Führungskraft benötigte.

Entschuldige bitte, Dir mag diese Banalisierung recht makaber erscheinen. Aber ist es nicht eigentlich so? Die aus meiner Sicht schlimmste Entscheidung, war das Festschreiben des Pluralismus. Pluralismus war ursprünglich eine idealistische Weltanschauung. Pluralismus ist heute ein „Schlagwort des modernen Revisionismus gegen die Einheit und Geschlossenheit des Marxismus-Leninismus….Der moderne Revisionismus…fordert einen ‚pluralistischen Marxismus’, d.h. einen seiner Grundprinzipien (Lehre von den Klassen und dem Klassenkampf, von der Diktatur des Proletariats sowie der führenden Rolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei) beraubten, unverbindlichen Marxismus….Die Forderung nach einem ‚pluralistischen Marxismus’ läuft auf die gewollte Trennung des Marxismus von der revolutionären Arbeiterbewegung hinaus und führt in der Konsequenz zur ideologischen Zersetzung der marxistisch-leninistischen Parteien und als deren Folge zur Freisetzung der Konterrevolution.“ (Philosophisches Wörterbuch, 1971, Band 2, S. 854) Genau das haben wir in den letzten 20 Jahren erlebt. Am Anfang nannte sich die Partei noch SED/PDS. Schon damals hatte ich arge Bedenken gegen die Formulierung „demokratischer Sozialismus“ im Parteinamen, weil sie unausgesprochen behauptet, dass der vorher gewesene Sozialismus nicht demokratisch gewesen sei. Im übrigen stammt dieser Begriff aus dem Godesberger Programm der SPD. Später fiel SED weg und schließlich wurde mit dem Zusammenschluss mit der WASG der Sozialismus vollständig aus dem Parteinamen getilgt. Pluralismus führt – das zeigt die politische Praxis – zur prinzipienlosen Beliebigkeit. Dennoch – das mag uns gefallen oder nicht, ist aber politische Realität – ist die Linkspartei derzeit die einzige Kraft, die im linken Spektrum größere Teile des Volkes anspricht. Das hat immerhin damit zu tun, dass aus geschichtlicher Erfahrung große Teile des Volkes sich von ihr eine mögliche Rück’wende’ erhoffen. Keine kommunistische Partei kann derzeit dieses Spektrum mobilisieren. Über die Gründe kann ich hier nicht schreiben, das würde den Rahmen dieser Betrachtung sehr weit sprengen. Wenn wir Kommunisten etwas bewegen wollen, müssen wir dieser Realität Rechnung tragen, denn wir wollen die Arbeiterklasse und das Volk gewinnen.

Hier meine Meinung zu Oskar Lafontaine: Als im Frühherbst 2003 der Briefwechsel zwischen Lafontaine und Gysi begann, fürchtete ich eine Beschleunigung der Sozialdemokratisierung der PDS. Die trat in dem befürchteten Maße und Tempo nicht ein. Er brachte nach und nach die WASG in die Partei ein, d.h. zahlreiche mit der SPD unzufriedene linke Sozialdemokraten und Gewerkschafter. Das sind in der Mehrzahl keine Marxisten, aber Menschen, die für gesellschaftlichen Wandel zu gewinnen sind. In diesem Gesamtprozess war Lafontaine immerhin der erste, der in aller Öffentlichkeit erklärte, dass man die „Systemfrage“ stellen müsse, kein Gysi, kein Bisky, kein Claus oder wie sie alle heißen und agieren mögen, traute sich das. Mit Sicherheit ist Lafontaine auch kein Marxist, aber sein Ausscheiden aus der derzeitigen Parteiführung der Linkspartei doch ein Verlust. Keiner kann jetzt voraussagen, wie sich diese Partei weiterentwickeln wird. Ihr neuer Programmentwurf bietet zumindest Raum für Fortschritte aus dem oben gezeichneten Abgrund heraus. Und dass dieser Programmentwurf über weite Teile die Handschrift Lafontaines trägt, ist jedem bekannt. Wir sind gut beraten, diese Handschrift dadurch zu beeinflussen, das wir uns öffentlich am Disput um diesen Programmentwurf beteiligen und damit das totale Abgleiten der Linkspartei verhindern. Das wird nicht leicht sein, wird kommunistische Solidarität mit Gleichgesinnten fordern und zugleich entschiedene Abgrenzung vom revisionistischen Sumpf notwendig machen, aber immer politisch sachorientiert und nicht vordergründig an Personen gebunden.

Zur KPF: Ich gestehe, dass mir hier die Aussage sehr schwer fällt. Ich war von Anfang an Mitglied der KPF, kenne dort sehr viele kampfentschlossene und vertrauenswürdige Genossen. Als ich vor ca. 6 Jahren aus der PDS austrat, haben manche dieser Genossen meinen Schritt nicht verstanden und reagierten mit dem Vorwurf, sie im Stich zu lassen. Das hat mich sehr betroffen gemacht. Ich gehörte mit zu denen, die schon sehr frühzeitig die Frage nach dem Platz der KPF in der Partei stellten. Ich kann fast wörtlich wiedergeben, wie Michael Benjamin (Sohn von Hilde Benjamin) mich damals überzeugte: „Wenn wir verhindern wollen, dass der Marxismus-Leninismus so weit in den Himmel gehängt wird, dass niemand mehr herankommt, müssen wir in der Partei bleiben, weil die Partei ohne Marxismus-Leninismus untergeht.“

So etwa sein Argument. Dem bin ich bisher auch gefolgt. Das Kernproblem besteht wohl darin, dass auch die KPF – statutenmäßig bedingt – den Pluralismus mitträgt. Sie unter den derzeitigen Bedingungen (Ausscheiden Lafontaines, Programmdebatte) aus der Linkspartei zu drängen wäre aus meinem politischen Selbstverständnis falsch. Deshalb, liebe Genossin Petra,  kann ich auch Deine Wertungen – „20 Jahre falsche Kompromisse…..falsch verstandene Parteidisziplin…..20 Jahre wertvolle Zeit vertan“ so nicht mittragen. Ich weiß nicht, ob Du die „Mitteilungen“ der KPF (eine Monatsschrift) kennst. Schau da doch mal gelegentlich hinein. Vielleicht hilft Dir das Buch „Klartexte, Beiträge zur Geschichtsdebatte“, dass die KPF im Herbst 2009 herausbrachte, manches über die Rolle der KPF besser zu verstehen. Und was zu Sahra Wagenknecht zu sagen ist, möchte ich nicht wiederholen, was ich in meiner letzten Mail bereits schrieb. Es gab mal eine Zeit, da stellte sich Gysi erpresserisch vor den Parteitag, als es um die Leitungsbildung ging, mit der Forderung, ‚entweder die oder ich’. Damals entschied sich die Partei für ihn. Inzwischen ist Gysi nicht mehr Parteivorsitzender und als Berliner Wirtschaftssenator trat er schon nach wenigen Wochen die Flucht an. Heute ist Sahra eine der stellvertretenden Parteivorsitzenden. Nicht uninteressant diese Entwicklung.  […]

Ich verbleibe mit kommunistischen Grüßen, Georg Dorn

Petra:
Lieber Genosse Georg, hab vielen Dank für Deine Antwort, in der sehr viel Arbeit steckt, die ich zu schätzen weiß. Deine Argumente können mich jedoch nicht von meiner Position abbringen. Du schreibst, es sei wichtig, daß die KPF Bestandteil der linken Partei “Die Linke” bleiben muß. Ich gebe Dir in einem recht: die KPF muß sich in einer linken Partei einbringen, das ist verdammt wichtig! Nur: “Die Linke” ist entgegen ihrem Namen nicht links, höchstens linke Mitte, allerhöchstens! Ihre Entwicklung nahm stetig unverändert diesen Weg zur Mitte, wo sie schließlich angekommen ist. Die KPF hat das nicht verhindern können. Das sind ganz einfach Fakten, die für sich sprechen. Schönrederei hilft niemandem. “Die Linke” ist link, nicht links. Privatisierung von einzelnen Konzernen bedeutet keineswegs, einen sozialistischen Weg einschlagen zu wollen. Post, Telekom, Energie, Bahn waren einst innerhalb der privaten Marktwirtschaft staatlich. Das hat nichts mit Sozialismus zu tun! Daß diese Konzerne nach und nach privatisiert wurden und werden ist gesetzmäßig: Um im gnadenlosen  Konkurrenzkampf bestehen zu können, müssen die Konzerne international miteinander verschmelzen. Wir sind gerade Zeugen dieses schon einige Jahre währenden Prozesses. Diese internationale Verschmelzung ist nur möglich, wenn die Konzerne privat sind. Die private Marktwirtschaft beibehalten zu wollen, wie es “Die Linke” formuliert, sie angnehm als “soziale” Marktwirtschaft zu umschreiben, kann die Mechanismen, Gesetze selbiger, wie eben die internationale Verschmelzung, nicht aushebeln. So, wie die Konzerne immer mehr internationalen Charakter annehmen, sollte, nein MUSS auch die kommunistische Bewegung internationalen Charakter annehmen. Leider vermisse ich diese Entwicklung. Nicht nur national findet man eine heillose Zersplitterung der Kommunisten, auch international ist man sich höchst unein. Während die Kommunisten streiten, welchen Weg man einschlägt, ob man nun Stalin ehren oder verdammen sollte, welche Rolle Trotzki zuzuordnen sei, wie die DDR und die Vernichtung des sozialistischen Lagers zu werten sei, sich am Thema “Stasi” brav entsprechend der Vorgaben der Medien aufreibt anstatt eine klare Position zu beziehen, während die kommunistischen Parteien und Gruppierungen das Trennende hervorkehren und keine Einheit finden, können sie auch keinen Einfluß auf die Massen ausüben. Das ist eine bittere Tatsache! Du selbst, lieber Genosse Georg, bist vor Jahren aus dieser Partei, damals noch PDS, ausgetreten. Ich gehe davon aus, daß Du diesen Schritt wohlüberlegt und nicht überstürzt getan hast, so schätze ich Dich ein. Also waren doch Deine Beweggründe darin verankert, daß diese Partei keine sozialistischen/kommunistischen Positionen mehr vertritt. Du bist ja nicht politisch inaktiv geworden. Also bezeugt Dein Austritt aus dieser Partei, daß Du deren Entwicklung nicht mehr mittragen konntest und wolltest. Ich selbst bin Ende 1991 aus der Partei ausgetreten, wohlüberlegt mit einer gehörigen Portion Enttäuschung und Wut. Die KPF wird und kann die Politik dieser Partei nicht beeinflussen. Sie stellt für die Partei lediglich eine noch zahlenmäßig wichtige Kraft dar, auf die man momentan nicht verzichten will. Nur aus diesem Grund darf die KPF ihre Meinung äußern, mehr auch nicht. Sarah Wagenknecht mußte sich von der KPF lösen, um sich der Wahl zu stellen. Auch sie ist in dieser Gesellschaft längst “angekommen”. Meine Meinung zu ihr kennst Du. “Die Linke” bindet mit der KPF eine kommunistische Kraft, die einfach brachliegt. Vereint mit anderen Kommunisten würden aus fünf einzelnen Fingern eine Faust werden. Diese Faust brauchen wir heute!

VENCEREMOS ! Liebe Grüsse, Petra

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