“Dreiklassen-Belegschaft“

Werkverträge in der Arbeitswelt

[Auszug]

Werkverträge sind ein Instrument zur Regelung wirtschaftlicher Austauschbeziehungen zwischen Unternehmen und Personen. Seit Jahrzehnten werden auch Serviceleistungen und Reparaturaufträge an Fremdfirmen vergeben. Unternehmen nutzen Werkverträge, um sich kurzfristig und flexibel Kompetenzen bei anderen Unternehmen oder bei Einzelpersonen einzukaufen, die betriebsintern nicht verfügbar sind. Viele Kleinselbständige erbringen ihre Leistungen im Rahmen von Werkverträgen.

Flexibilisierung der Erwerbsarbeit

Eine zunehmende Flexibilisierung der Erwerbsarbeit beinhaltet unter anderem einen Bedeutungsrückgang des so genannten Normalarbeitsverhältnisses (unbefristete Vollzeittätigkeit), steigende Anteile atypischer Beschäftigungsformen wie Leiharbeit, geringfügiger und befristeter Beschäftigung sowie eine sich ausweitende Arbeitsteilung, die sich insbesondere in der Auslagerung von Tätigkeiten und Arbeitsplätzen im nationalen und internationalen Maßstab äußert.

Eng damit verbunden sind Veränderungen in der Qualität der Arbeit, die sich unter anderem in wachsenden Lohnspreizungen sowie einer steigenden Unsicherheit von Beschäftigungsverhältnissen ablesen lassen.

Die Auslagerung von Tätigkeiten über Werkverträge

Fallbeispiel 1: Zentrallager eines großen Möbelhauses

In einer Dokumentation berichtet der Westdeutsche Rundfunk (2011) über die Situation in einem großen Warenlager eines Möbelhauses in Dortmund. Während dort tagsüber Angestellte des Möbelhauses Container abladen, werden die gleichen Arbeiten nachts ab 22 Uhr von Arbeitern aus Litauen ausgeführt. Diese sind nicht beim Möbelhaus selbst angestellt, sondern bei einer litauischen Firma aus Vilnius. Die Arbeiter erhalten keine tarifliche Bezahlung und damit z.B. auch keine Nachtzuschläge. Zwischen dem Möbelhaus und der litauischen Firma tritt ein weiteres (deutsches) Unternehmen als Werkvertragnehmer auf und vermittelt die Werkvertragsarbeitskräfte zur Durchführung des Werkes „Container abladen“ zu einem festen Preis je Container. Entsprechend den Regelungen im Werkvertrag bezahlt das Möbelhaus keine Stundenlöhne, sondern eine Pauschale je abgeladenem Container. Löhne werden erst in Litauen (und nach dortigem Recht und mit dortigen Steuern und Sozialabgaben) gezahlt.

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Als Resultat spart das Möbelhaus (Personal-)Kosten (insbesondere tarifliche Zuschläge) und vermeidet tarifliche Auseinandersetzungen, indem der tarifliche Hürden umgangen und Sozialversicherungsbeiträge vermieden. Die litauischen Arbeiter verdienen deutlich mehr als in ihrem Heimatland. Dem deutschen Staat entgehen Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge.

Fallbeispiel 2: Fremdfirmenarbeit in der Automobilindustrie

Während der Anteil der Endhersteller an der automobilen Wertschöpfung Ende der 90er Jahre bei den großen deutschen Automobilkonzernen noch deutlich über 40 Prozent lag, liegt er bei Daimler und BMW heute nur noch bei etwa 30 Prozent, bei Audi sogar nur noch bei etwa 20 Prozent. Neben „produktionsfernen“ Dienstleistungen wie Gebäudereinigung, Werksschutz, Kantinenservice oder Spedition, werden heute zunehmend auch in der Produktion selbst sowie im Bereich der Forschung und Entwicklung Fremdfirmen beauftragt. Ebenso wird eine wachsende räumliche Integration der Fremdfirmen auf die Werksgelände der Automobilkonzerne beobachtet. Diese sind nicht mehr nur vor den Toren der Werke angesiedelt, sondern agieren teilweise als externe Abteilungen direkt auf dem Werksgelände und führen mitunter auch Montagearbeiten am Fließband durch, wie etwa im BMW-Werk Leipzig.

In der Automobilbranche spielen Werkverträge also eine wichtige Rolle. Allein im Bereich der Elektro-und Metallindustrie bei Audi und Zulieferern im Raum Ingolstadt, so wird berichtet, sind mindestens 10.000-12.000 Personen als Werk- oder Dienstleistungsvertragsnehmer beschäftigt. Im BMW-Werk Leipzig beträgt der Anteil der Werkvertragsunternehmen an der Belegschaft 30 Prozent. Durch die Beschäftigung der Arbeiterinnen und Arbeiter bei Subunternehmen (Werkvertragsunternehmen) sind auch bei geltenden Equal-Pay-Regelungen niedrigere Löhne möglich, da für die Fremdfirmen häufig keine tariflichen Regelungen gelten. Die Konzerne kaufen keine Arbeitskräfte, sondern komplette Dienstleistungen ein und, so ein O-Ton: „Deshalb haben wir auch keinen Einblick in die Verträge, die die Dienstleister mit ihren Mitarbeitern beziehungsweise Zeitarbeitern abschließen“.

In den FuE-Bereichen der Automobilkonzerne werden bis zu 40 Prozent des Entwicklungsvolumens extern abgewickelt. Neben der Vergabe von Werkverträgen an externe Unternehmen, werden auch einzelne Ingenieure mittels Werkverträgen beauftragt, wodurch der Verdacht auf verdeckte Leiharbeit besonders naheliegt.

Fallbeispiel 3: Regaleinräumer im Einzelhandel

Die ARD (2011) dokumentiert, wie mehrere deutsche Lebensmittelkonzerne in ihren Logistikzentren Werkverträge mit Fremdfirmen abschließen. In dem genannten Beispiel werden verschiedene Lagerarbeiten, insbesondere das Ein-und Ausräumen von Regalen per Werkvertrag vergeben. Der im Beispiel genannte Werkvertragnehmer entlohnt die in den Lagern eingesetzten Mitarbeiter nach Akkordlohnsystem. Das heißt, dass sich deren Verdienst nach der Zahl der bewegten Verpackungseinheiten richtet, die für die einzelnen Supermärkte zusammengestellt werden. Gleichzeitig rekrutiert die Fremdfirma ihr Personal teilweise von einer privaten Arbeitsvermittlung, die im Gegenzug auf legalem Wege Vermittlungsgutscheine des Arbeitsamtes (im Wert von bis zu 2.000 Euro je „Vermittlung“) bekommt.

Von den Fremdfirmenarbeitern wird ständige Arbeitsbereitschaft verlangt, andernfalls wird ihnen die so genannten Anwesenheitsprämie, eine Art Grundgehalt, vorenthalten. Zudem werden bei Bruchware oder Reklamationen empfindliche Vertragsstrafen wirksam. Tarifverträge aus dem Groß- und Einzelhandel oder Tarifverträge für Zeitarbeiter finden in der Fremdfirma keine Anwendung, von monatlichen Löhnen weit unter 900 Euro wird berichtet.

In dem Beitrag wird aufgezeigt, dass der private Arbeitsvermittler wöchentlich etwa 90 Helfer sucht und es in Deutschland 43 solcher Logistikzentrallager gibt.

Die Fallbeispiele zeigen beispielhaft verschiedene betroffene Branchen und organisatorische Konstruktionen. In allen Beispielen wird geschildert, dass die Arbeitsbedingungen und die Löhne der Fremdfirmenarbeiterinnen und -arbeiter deutlich schlechter bzw. niedriger sind als diejenigen der Stammbelegschaft. Auch ist zu beobachten, dass die Belegschaft der Fremdfirmen meist auf dem Firmengelände der Auftraggeber tätig ist und oft sehr ähnliche Aufgaben, manchmal zusammen mit der Stammbelegschaft, erledigt.

Was ist ein Werkvertrag?

Werkverträge sind ein seit langem übliches Instrument zur Regulierung von geschäftlichen Beziehungen zwischen Individuen und Unternehmen: „Wie der Kaufvertrag regelt auch der Werkvertrag einen Austausch von „Ware“ gegen Geld, jedoch mit dem Spezifikum der typprägenden Werkleistung“. Die „Waren“ können dabei durchaus auch immaterieller Art sein und beispielsweise auch in einer Transportleistung bestehen.

Handwerkliche Arbeiten, wissenschaftliche Dienstleistungen, kreative Tätigkeiten oder auch zahlreiche Hilfstätigkeiten werden traditionell im Rahmen von Werkverträgen ausgeführt. Ein Werkvertrag beruht auf einem gegenseitigen Vertragsverhältnis zwischen einem Auftraggeber (Besteller) und einem Auftragnehmer (Hersteller) über die Erstellung eines im Vertrag festgelegten Werkes.

Im Werkvertrag wird die Arbeit nach dem Ergebnis („Werk“) beurteilt, und nicht nach dem Aufwand der geleisteten Tätigkeit. Werkverträge nsind ein so flexibles Instrument, dass sie prinzipiell für fast alle Arten von Tätigkeiten eingesetzt werden können.

Werkverträge können sowohl von natürlichen als auch von juristischen Personen geschlossen werden. Ist der Werkvertragnehmer eine natürliche Person, so realisiert diese das festgelegte Werk in der Regel im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit, die im Haupt- oder Nebenerwerb durchgeführt wird. Die meisten Soloselbständigen erbringen ihre Leistungen auf der Grundlage von Werkverträgen, besonders im IT- und Medienbereich ist dabei oft auch von Freien Mitarbeitern, Arbeitskraftunternehmern oder Freelancern die Rede. Werden Werkverträge von einem Unternehmen an andere Unternehmen vergeben, so spricht man auch von der Auslagerung der Tätigkeit an eine Fremdfirma. Diese Fremdfirma lässt die Tätigkeiten entweder durch ihre eigenen angestellten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchführen, oder sie beauftragt ihrerseits Subunternehmer mit der Durchführung.

Ein Werkvertrag dient also – zumindest soweit er von einem Unternehmen vergeben wird – der Auslagerung eines (mehr oder weniger klar abgegrenzten) Teils der Tätigkeiten eines Unternehmens an eine Person (Arbeitskraftunternehmer) oder an ein anderes Unternehmen (Fremdfirma). Werkverträge sind damit neben Arbeitsverträgen und Dienstverträgen im engeren Sinne ein „Instrument der institutionellen Ausgestaltung der Arbeitsteilung“. Aus der Sicht des Unternehmens, das seine Tätigkeiten anstatt über eigene Beschäftigte im Rahmen von Werkverträgen organisiert, erfolgt damit keine arbeitsrechtliche Gestaltung der Erwerbsarbeit mehr.

Bei Werkvertragsarbeitskräften aus Fremdfirmen richten sich die Bedingungen hinsichtlich Entlohnung, Tarifbindung, Mitbestimmung, Sozialversicherung etc. grundsätzlich nach den Bedingungen, die bei deren Arbeitgeber – also bei der „Fremdfirma“ – gelten.

Im Gegensatz zur Kernbelegschaft – den abhängigen Beschäftigten eines Unternehmens – werden Werkvertragsarbeiterinnen und -arbeiter zusammen mit den Leiharbeitskräften zur so genannten Randbelegschaft gezählt. Böhm (2011, S. 7) konstatiert in diesem Zusammenhang, dass aus der vorherigen „Zweiklassen-Belegschaft“ mit Stammbeschäftigten und Leiharbeitern nun eine „Dreiklassen-Belegschaft“ werde, mit den Arbeiterinnen und Arbeitern der Fremdfirmen als dritte Gruppe.

[Ein Quellenauszug.]

Quelle: OBS-Arbeitspapier Nr. 2. Werkverträge in der Arbeitswelt. Autoren: Dr. Andreas Koch unter Mitarbeit von Andreas Wohlhüter. Ein Projekt der Otto Brenner Stiftung, Frankfurt am Main 2012

http://www.otto-brenner-shop.de/uploads/tx_mplightshop/2012_02_29_Koch_AP_02.pdf

Info.-Empfehlung

Lohndumping: Immer mehr Arbeiter per Werkvertrag beschäftigt

http://wirtschaft.t-online.de/lohndumping-immer-mehr-arbeitnehmer-per-werkvertrag-beschäftigt/id_55291850/index

04.04.2012, Reinhold Schramm (Bereitstellung)

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