US-Geheimdienste sehen keine Anzeichen dafür, dass der Iran eine Atombombe bauen will

Von James Risen und Mark Mazzetti

The New York Times, 24.02.12, (http://www.nytimes.com/2012/02/25/world/middleeast/us-agencies-see-no-move-by-iran-to-build-a-bomb.html)

WASHINGTON – Nach einem am Freitag veröffentlichten Bericht der UN-Überwachungsorganisation (der International Atomic Energy Agency / IAEA) hat der Iran sein Urananreicherungsprogramm zwar beschleunigt, Analysten der US-Geheimdienste haben aber weiterhin keine stichhaltigen Beweise dafür, dass sich der Iran dazu entschlossen hat, eine Atombombe zu bauen.

Die jüngsten Bewertungen der US-Geheimdienste stimmen weitgehend mit ihrer Einschätzung aus dem Jahr 2007 überein, in der amtierende und ehemalige Experten gemeinsam zu dem Schluss kamen, das iranische Atomwaffenprogramm sei schon Jahre vorher eingestellt worden. (Die Einschätzung aus dem Jahr 2007 ist aufzurufen unter http://graphics8.nytimes.com/packages/pdf/international/20071203_release.pdf .) Diese gemeinsame Einschätzung der 16 US-Geheimdienste blieb auch 2010 fast unverändert und ist es bis heute geblieben.

Ungeklärt ist weiterhin die Frage, welche Entscheidung die Führung in Teheran

letztendlich treffen wird. Einig sind sich die Geheimdienste der USA, Israels und Europas darüber, dass der Iran atomaren Brennstoff anreichert und die notwendige Infrastruktur entwickelt hat, um eine Atommacht werden zu können. Die CIA und andere Geheimdienste glauben aber immer noch, dass der Iran 2003 sein Programm zur Entwicklung eines Atomsprengkopfes eingestellt hat und es erst wieder aufnehmen müsste, wenn er tatsächlich eine Atombombe bauen wollte. Iranische Offizielle behaupten weiterhin, ihr Atomprogramm diene nur friedlichen Zwecken.

Bei einer Anhörung, die am 31. Januar im Senat stattfand, erklärte James R. Clapper Jun., der Director of National Intelligence (der Direktor der Nationalen Nachrichtendienste, s. http://de.wikipedia.org/wiki/Director_of_National_Intelligence ) ausdrücklich, US-Experten glaubten zwar, dass der Iran die Option zum Bau von Atomwaffen anstrebe, es lägen aber keine Beweise dafür vor, dass er sich bereits dazu entschlossen habe, den Bau von Atomwaffen beschleunigt zu betreiben. Der CIA-Direktor David H. Petraeus vertrat bei der Anhörung die gleiche Ansicht. Andere führende US-Offizielle wie Verteidigungsminister Leon E. Panetta und Generalstabschef Martin E. Dempsey haben in jüngster Zeit im Fernsehen ähnliche Erklärungen abgegeben.

“Die Iraner sind sicher auf dem Weg (zu dieser Option), wir glauben aber nicht, dass sie sich tatsächlich schon zum Bau einer Atomwaffe entschlossen haben,” sagte Direktor Clapper vor dem Geheimdienstausschuss des Senates.

Kritiker der Einschätzung der US-Geheimdienste in Jerusalem und in einigen europäischen Hauptstädten weisen darauf hin, dass der Iran große Fortschritte in einem für den Bau einer Atomwaffe wichtigen Bereich gemacht hat, nämlich bei der Anreicherung von Uran. Das geht auch aus einer Reihe von Berichten der IAEA-Inspektoren hervor, die am Freitag neue Beweise dafür vorgelegt haben, dass die Iraner jetzt auch damit begonnen haben, Uran in einer unterirdischen Anlage anzureichern.

Wenn es der Iran schaffen sollte, Uran bis zur Waffenfähigkeit anzureichern – was er nach Einschätzung der USA bisher noch nicht versucht hat – wäre es nach Einschätzung einiger Kritiker relativ leicht für ihn, einen Sprengkopf zu konstruieren und bald darauf eine dazu passende Atombombe zu bauen. Sie kritisieren die CIA für die ihrer Meinung nach zu vorsichtigen Beurteilung des Irans, die sie damit erklären, dass sich der Geheimdienst nach den falschen Angaben über angeblich vorhandene Massenvernichtungswaffen des Iraks im Jahr 2002 jetzt zu sehr zurückhalte.

Außerdem zweifeln israelische Experten die grundlegende Annahme aus der Geheimdienst-Einschätzung des Jahres 2007 an, weil sie nicht glauben, dass der Iran die Arbeit an seinem Atomwaffenprogramm im Jahr 2003 wirklich eingestellt hat.

Einige Geheimdienst-Mitarbeiter und unabhängige Analysten sind nicht der Meinung, dass der Iran seine Urananreicherung deshalb so forciert, weil er möglichst schnell eine Atombombe bauen will. Sie glauben, der Iran versuche seinen Einfluss in der Region erst einmal dadurch zu vergrößern, dass er sich zunächst die “strategische Option” (zum Bau einer Atombombe) verschafft. Anstatt gleich ein Bombe zu bauen, könne der Iran seine Macht auch dadurch auszuweiten versuchen, dass er die benachbarten Staaten im Unklaren über seine wirklichen atomaren Ambitionen lässt. Sie verweisen auf Pakistan und Indien, die ihre Atomwaffenprogramme auch jahrzehntelang geheim gehalten haben, bevor sie sich dazu entschieden, tatsächlich Atombomben zu bauen und sie1998 zu testen. “Ich denke, die Iraner wollen die Fähigkeit zum Bau (von Atombomben) erwerben, sich aber keinen Bombenvorrat anlegen,” äußerte Kenneth C. Brill, ein ehemaliger US-Botschafter bei der IAEA, der von 2005 bis 2009 Direktor des National Counterproliferation Center (des Zentrums zur Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, s. http://www.counterwmd.gov/) der US-Geheimdienste war. Ein ehemaliger Geheimdienst-Mitarbeiter fügte hinzu: “Die Inder waren jahrelang nur eine Schraubenzieherumdrehung vom Bau einer Bombe entfernt. Die Iraner sind aber noch lange nicht so weit.”

Die US-Analysten geben allerdings zu, dass die Absichten der iranischen Führung äußerst schwer zu durchschauen sind, und dass die Geheimdienst-Einschätzung auf begrenzten Informationen beruht. David A. Kay, der das CIA-Team führte, das nach der US-Invasion die Massenvernichtungswaffen des Iraks aufspüren sollte, beurteilte die Qualität der jüngsten Einschätzung der US-Geheimdienste sehr zurückhaltend. “Sie haben keine Beweise dafür, dass sich der Iran zum Bau einer Bombe entschlossen hat, und das zeigt eine wirkliche Lücke in den Erkenntnissen der Geheimdienste,” erklärte Kay. “Es ist wahr, dass sich die Beweislage seit 2007 kaum geändert hat,” fügte er hinzu. “Das kann aber auch daran liegen, dass die Geheimdienste sich keine neuen Quellen erschließen und deshalb auch keine neuen Erkenntnisse gewinnen konnten.”

Die Vorhersage von Absichten, die von geschlossenen Gesellschaften verfolgt werden, ist eine der schwierigsten Aufgaben für die Analysten der US-Geheimdienste, und die CIA hat seit Jahrzehnten nur wenig Erfolg bei ihren Versuchen, in Regime wie die im Iran oder in Nordkorea einzudringen, um herauszufinden, welche Entscheidungen dort getroffen werden Nach den misslichen Erfahrungen mit den nicht zutreffenden Aussagen der Geheimdienste über den Irak wurden 2006 neue analytische Verfahren eingeführt, mit denen eine Wiederholung solcher Fehleinschätzungen vermieden werden soll. Die Analysten haben jetzt auch Zugriff auf die Originalquellen, auf denen die Berichte der Geheimdienste beruhen; sie sollen die Vertrauenswürdigkeit der Quellen selbst überprüfen können, damit ihnen nicht noch einmal das gleiche Missgeschick passiert wie der CIA, die auf die Lügen des im Exil lebenden Informanten (Curveball) über angebliche Biowaffen des Iraks hereingefallen ist (s. dazu auch http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_06/LP00606_130106.pdf ).

Die Analysten müssen jetzt auch aufzeigen, wie sie zu ihren Schlussfolgerungen gekommen sind, und in den Geheimberichten sind abweichende Urteile jetzt gleichberechtigt aufzuführen und nicht mehr als Fußnoten abzutun.

Als 2007 eine nicht geheime Zusammenfassung der Geheimdienst-Einschätzung

zum Atomprogramm des Irans veröffentlicht wurde (s.o.), der zu entnehmen war,

dass der Iran die Arbeit an einer Atombombe (bereits 2003) eingestellt hatte, war

nicht nur die Bush-Administration, sondern die ganze Welt überrascht. Damit wurden praktisch alle Erkenntnisse der Geheimdienst-Einschätzung aus dem Jahr 2005 widerrufen; besonders die CIA wurde daraufhin von europäischen und israelischen Offiziellen und konservativen Experten hart kritisiert. Man vermutete, damit habe die CIA nur eine Militäraktion der USA gegen den Iran verhindern wollen.

Die Einschätzung war so umstritten, dass viele unabhängige Analysten erwarteten, die US-Geheimdienste würden sie zurückziehen und aufgrund neuer Erkenntnisse über das iranische Atomprogramm, die vor allem von den IAEA-Inspektoren vorgelegt worden waren, entsprechend revidieren. Es handelte sich aber um neue Erkenntnisse über die Urananreicherung des Irans und nicht um Beweise für ein neues iranisches Atomwaffenprogramm.

Inzwischen hat die Urananreicherung des Irans jedoch ein Ausmaß erreicht, das auch bei Experten, die dem Iran bisher vertraut haben, Skepsis erregt. “Die (forcierte) Urananreicherung hat neue Diskussionen hervorgerufen,” erklärte ein ehemaliger

Geheimdienst-Mitarbeiter. “Die hat alle nervös gemacht. Mit ihren gesteigerten Aktivitäten haben die Iraner erneut Verdacht erregt.”

Auch die Bemühungen des Irans, seine Atomanlagen zu verbergen und den Westen über seine Aktivitäten zu täuschen, haben die Zweifel verstärkt. Trotzdem warnen einige US-Analysten davor, ein solches Verhalten als Beweis für ein Waffenprogramm anzusehen. Sie erinnern an den Fehler, den die CIA vor dem Irak-Krieg gemacht hatte; weil Saddam Hussein damals den Waffeninspektoren den Zutritt verweigerte, hatte sie daraus geschlossen, er habe etwas zu verbergen, verfüge also über Massenvernichtungswaffen.

Kay meinte dazu: “Ungesicherte Beweise, wie sie uns 2002 vorlagen, reichen heute eben nicht mehr aus.”

(Wir haben den Artikel komplett übersetzt und mit Ergänzungen und Links in Klammern

und Hervorhebungen versehen. Die New York Times ist schon wiederholt mehr oder weniger offen für einen Überfall auf den Iran eingetreten und versucht auch jetzt wieder, die klare Aussage der US-Geheimdienste, dass immer noch keine Beweise für ein iranisches Atomwaffenprogramm vorliegen, durch eine sehr doppelbödige Argumentation in Frage zu stellen. Anschließend drucken wir den Originaltext ab.)

 

Quelle: Friedenspolitische Mitteilungen aus der US-Militärregion Kaiserslautern/Ramstein, LP 056/12 – 05.03.12, Quelle: www.luftpost-kl.de,VISDP: Wolfgang Jung, Assenmacherstr. 28, 67659 Kaiserslautern

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