Zur sozialen Veräppelung und Vertafelung der Bevölkerung

Fast 900 Tafeln versorgen die Armen und vormals Lohnabhängigen mit Lebensmitteln. Das Lob für die Tafeln ist überschwänglich, menschenwürdige Versorgung und bürgerliches Engagement haben scheinbar eine gute Verbindung gefunden. Aber: Die Blüte der Tafeln ist gleichzeitig der Niedergang des bröckelnden Sozialstaats. [1]

Vom Provisorium zum Prinzip: “Lebensmittelausgabestellen für Bedürftige haben sich zum festen Bestandteil der Armenpolitik entwickelt”, schreibt Christian Linde in der Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft.
GeringverdienerInnen, einkommensschwache Familien, Alleinerziehende und RentnerInnen gehören zu den “Kunden” der Tafeln. Für 2011 wird die Gründung der eintausendsten Tafel erwartet. Das Tafelsystem steht inzwischen als ein Symbol für den Abbau des spätbürgerlichen Sozialstaats. Die Sozialkonzerne tüfteln bereits an neuen Geschäftsfeldern zur weiteren Privatisierung der Existenzsicherung und Entlastung der Privatunternehmen bei den Arbeitslöhnen und des Staates bei den Sozial- und Reproduktionsleistungen. [2]    

Anmerkung zur Beziehung von Kapital und “Sozialpartner”.
Zur ökonomischen und gesellschaftspolitischen Führung der sozialdarwinistischen und imperialistischen Bundesrepublik Deutschland und zu einem der noch zahlreichen Repräsentanten der regierenden deutschen Bourgeoisie und Administration.
Der Multimillionär aus Privateigentum an Produktionsmitteln und Verfügungsgewalt über die Wert- und Mehrwertschöpfung aus abhängiger Lohnarbeit und BDA-Unternehmerpräsident Dr. Dieter Hundt – in seiner Erklärung – zu den am 04. Januar 2010 veröffentlichten Arbeitsmarktzahlen:

“Es ist ein beeindruckender Erfolg der Unternehmen und der Sozialpartner, dass Deutschland im vergangenen Jahr trotz Krisenfolgen einen neuen Rekord bei der Zahl der Erwerbstätigen erreicht hat. – Ich gehe fest davon aus, dass sich der Aufschwung am Arbeitsmarkt fortsetzt. Die erfreuliche Entwicklung muss jetzt genutzt werden, um Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte verstärkt in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Statt künstlicher öffentlicher Beschäftigung brauchen die Betroffenen echte Perspektiven auf Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt. – Ich warne davor, die bestehenden Chancen für Arbeitslose aus ideologischen Gründen zu verbauen. Flexible Beschäftigungsformen dürfen nicht eingeschränkt und die Zeitarbeit als Jobmotor nicht abgewürgt werden.” (BDA-Dr. Dieter Hundt) [3]

Ungeschminkte Klarheit.
Parallel zu den Vorstellungen und Vorgaben der Administration und Repräsentanten des BDI-BDA-DIHK-Banken-Kapitals, bemüht sich der sozialdemokratische “Sozialpartner”, um die sozial-, arbeits-, wirtschafts-, markt- und gesellschaftspolitische Umsetzung bzw. um deren Realisierung. Um die ‘menschenwürdige’ Niedriglohnpolitik und sozial verträgliche Anpassungspolitik, zum Beispiel in der Weiterentwicklung der Leiharbeit und Zeitarbeit – und damit um die fortgesetzte Niedriglohnpolitik und den ‘Arbeitsfrieden’ – in der Ausbeutung der Lohnarbeit, kümmert sich auch “ZOOM”, ein Netzwerk der IG Metall. Siehe auch hierzu: [4]*

*Unvollständige Anmerkung zur Gewerkschaftsarbeit bei der “Leiharbeit” und “Zeitarbeit”:
Bereits vor Beginn der praktischen Umsetzung von Maßnahmen zur Auflösung gesicherter ‘Normalarbeitsverhältnisse’ und Einführung von so genannten prekären (unsicheren) Arbeitsverhältnissen (im Kapitalismus gibt es keine sicheren Arbeitsverhältnisse), müssen gewerkschaftliche und betriebliche Abwehrkämpfe eingeleitet und geführt werden, auch unter Beteiligung der vergleichsweise ‘bezahlten’ “Stammbelegschaften”; – und keine nachträgliche sozialpartnerschaftliche [“ZOOM”] Auffanggesellschaft und ‘Sozialarbeit’ – fürs Kapitalinteresse etc. – In Folge führt auch diese reale ‘ZOOM’-Praxis – der ‘Sozialarbeit’ – zur nachfolgenden Anpassung der Lohnarbeit an die Verwertungs-, Wirtschafts- Markt- und Realisierungsbedürfnisse der Kapitaleigner (Bourgeoisie, Anteilseigner und Aktionäre etc.).

Es ist nicht die Aufgabe der DGB-Gewerkschaften, die Gewinn- und Profitinteressen der Privateigentümer zu befriedigen. So auch nicht (nur) die kurzfristigen und tagespolitischen Interessen ihrer Versicherungs- und Gewerkschaftsmitglieder zu befriedigen. Es ist die Aufgabe der Gewerkschaftspolitik, die sozial-ökonomisch-ökologische und gesellschaftspolitische Übernahme an den gesellschaftlichen Produktionsmitteln – und damit an der gesamtgesellschaftlichen Wert- und Mehrwertschöpfung – vorzubereiten und durchzuführen. – Die Herausnahme der gesellschaftlichen Produktionsmitteln aus der privaten Verfügungsgewalt – die Überwindung und Aufhebung des Privateigentums an gesellschaftlichen Produktionsmitteln – ist die gewerkschaftliche Aufgabe!

Quellen: [1] Zugang über LabourNet.de Germany: Tafeln und Vertafelung. Die Arbeitslosigkeit und die Tafeln gleichzeitig abschaffen! – eine realistisch-unrealistische Utopie. Ein Artikel von Peter Grottian vom Mai 2010 – bei den sozialdemokratischen “Nachdenkseiten”.
http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/realpolitik/allg/tafeln.html

[2] MieterEcho, Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft, Nr. 344, Dez, 2010: Sozialwirtschaft statt Sozialstaat. Wie der Staat seine Aufgaben der Privatwirtschaft überlässt.
http://www.bmgev.de/mieterecho/mepdf/me344heft.pdf **

** Hier, unter anderem: 1. Abschied vom Sozialstaat, Die soziale Frage soll privatwirtschaftlich gelöst werden, von Hermann Werle. 2. Neue Spendenkulturen? Zurück im Mittelalter: Wenn Reichen wieder die Armenfürsorge obliegt, Elke Brüns. 3. Verschwindet die Jugendarbeit? Im Jugendbereich wird seit Jahren drastisch gekürzt, Philipp Mattern. 4. Vom Provisorium zum Prinzip, Ch. Linde. 5. Weder sozial noch solidarisch, “Kampf” der EU gegen Armut und soziale Ausgrenzung, von Hermann Werle.
[3] BDA – “Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände”, Presse-Information Nr. 001/2011, Berlin, 4. Januar 2011.
[4] “ZeitarbeiterInnen Ohne Organsisation Machtlos” – ZOOM.  Ein Netzwerk der IG Metall – für die Kolleginnen und Kollegen in Zeitarbeit und Leiharbeit.
http://www.igmatall-zoom.de/wir-uns-zeitarbeit-leiharbeiter-gewerkschaft-betriebsrat.html

Merke: Auch die widerstandslose Auflösung von “Normal”-Arbeitsverhältnissen und die Folgepraxis, der weiteren sozialen Entrechtung und prekären Arbeit, Leiharbeit und Zeitarbeit, führt zur fortgesetzten -ideologischen und sozialen- Veräppelung und Vertafelung der werktätigen Bevölkerung.

06.01.2011, Reinhold Schramm

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